Deutschlands ältester lebender Bürger. - Ein Beitrag von Martina Lenz.
Ewig jung bleiben – der Traum ist so alt wie die Menschheit. Gut, es muss ja nicht die Unsterblichkeit sein, aber ein paar Jahre oder – wenn möglich – auch Jahrzehnte mehr Lebenszeit würden uns doch schon genügen. Wie können wir lange zufrieden, gesund und aktiv leben? Führende Experten der Altersforschung bestätigen immer wieder genetische Voraussetzungen, Lebensstil, Ernährung sowie psychisches Rüstzeug als einflussnehmende Faktoren auf Prozesse des Alterns. Aber fragen wir doch einfach Heinrich Homann. Mit 108 Jahren ist er der älteste bekannte in Deutschland lebende Bürger, und somit bestimmt ein wahrer Lebensexperte.
Im KWA Stift Urbana wohnt Heinrich Homann seit Juli 2019. Ich habe mich mit ihm verabredet, um ihn ein wenig besser kennenzulernen. Beim Betreten seiner Wohnung erkennt man sofort, dass Familie für Heinrich Homann sehr wichtig ist. An den Wänden hängen schön gerahmte Fotos seiner Kinder, Enkelkinder und Urenkel, aber auch seiner Eltern, Großeltern und Schwiegereltern. Nach nur wenigen Momenten liegen viele Alben, Ordner und sogar eine Familienchronik, ein Geschenk seines Sohnes zum 100sten Geburtstag, auf dem Tisch und wir blättern durch sein langes Leben.
Geboren in Stoppenberg zur Kaiserzeit im Sommer 1911 als fünftes von insgesamt zehn Kindern, lebte er, wie er sagt, ein langes, erfülltes aber auch oft entbehrungsreiches Leben. Das Glück schien allerdings rückblickend immer zur rechten Zeit zur Stelle gewesen zu sein.
Als schlimmste Zeit seines Lebens empfindet er die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. "Wir hatten nichts und es gab auch nichts." Er erkrankte an der Spanischen Grippe, an der zwischen 1919 und 1920 fast 50 Millionen Menschen starben. Er überlebte und wurde danach nie wieder ernsthaft krank. Allen Widrigkeiten zum Trotz beendete er als Jahrgangsbester seine Schulzeit und hätte somit einen der begehrten Ausbildungsplätze bei der Stadt Essen bekommen können, entschied sich aber für eine kaufmännische Ausbildung bei der Gutehoffnungshütte. Der zweite Weltkrieg kam und kurz nach seiner Hochzeit erhielt er die Einberufung zur Luftwaffe. Fünf Jahre lang war er Bordfunker bei einer Transport-Kompanie. "Ich hatte wieder Glück, wurde nicht verwundet und überstand auch die Gefangenschaft in Neapel einigermaßen gut. Als ich nach Hause kam, stand ich wieder vor dem Nichts."
Mit seiner Tätigkeit bei der Krupp-Wohnungsbaugesellschaft war er aktiv am langwierigen Aufbau der zerstörten Stadt Essen beteiligt. Diesem Unternehmen blieb er bis zu seiner Pensionierung vor 45 Jahren treu.
Als Pensionär bereiste er zusammen mit seiner Frau Europa und blieb noch Jahrzehnte aktives Mitglied im Sportverein, als Handballer und später dann im Seniorensport. Zusätzlich, inspiriert durch seinen Patenonkel, beschäftigt er sich bis heute mit Familien- und Ahnenforschung. Als Mitglied der Forschungsgemeinschaft "Familienforschung im Team" hat er weit über 100 Stammbäume erstellt. "Die ersten Recherchen gingen nur sehr langsam voran. Wir reisten oft von Stadt zu Stadt, um in Stadtarchiven und Kirchenbüchern Einsicht zu nehmen. Heute geht das weitaus zügiger. Die meisten Daten sind in Computern zu finden und unsere Forschungsgemeinschaft ist nun auch gut vernetzt." Auch er selbst nutzt einen PC.
Trotz aller Aktivitäten und seiner großen Familie macht sich manchmal Einsamkeit breit, gesteht er, ihm fehlen dann die Weggenossen seiner Zeit. "Ich kann niemanden mehr fragen: 'Weißt du noch?'" Seine Kontakte beginnen mit der nächsten Generation. "Aus meiner Zeit ist eben niemand mehr da – ich bin der letzte Mohikaner!" In seinem Alter noch so gesund und geistig fit zu sein, empfindet er als großes Glück. "Ein Rezept für ein langes Leben habe ich nie gehabt. Ich bin jetzt 108, weil die Natur es eben so wollte. Man wird ja nicht gefragt", ergänzt er lachend. "Ich habe mein Leben immer so genommen, wie es kam."
Ich habe mein Leben immer so genommen wie es kam.
Heinrich Homann