KWA EXKLUSIV-INTERVIEW. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Stadtwerke München spricht im KWA-Interview über die Erfahrungen mit Energieknappheit im 1. Winter des Kriegs von Russland in der Ukraine.
Die Stadtwerke München (SWM) sind der größte kommunale Energieversorger Deutschlands. Auch KWA bezieht Energie in Form von Fernwärme von den SWM: für das KWA Stift Brunneck und das KWA Hanns-Seidel-Haus. KWA hat Fragen an den Vorsitzenden der SWM Geschäftsführung gerichtet. Dr. Florian Bieberbach ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Er doziert als Honorarprofessor an der Technischen Universität München School of Management und ist Vorsitzender der Forschungsstelle für Energiewirtschaft, zudem Präsident der European Federation of Local and Regional Energy Companies (CEDEC).
KWA: Herr Bieberbach, der Krieg in der Ukraine hat vor allem im betroffenen Land zu unsäglichem Leid und großen Verwerfungen geführt, hinsichtlich der Versorgungssicherheit aber auch in Deutschland so Einiges auf den Kopf gestellt. Inwiefern waren und sind die Stadtwerke München davon betroffen?
Dr. Flotian Bieberbach: Erst einmal: Nichts davon ist vergleichbar mit dem Leid, was viele Menschen in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 täglich erleben. Aber der russische Angriffskrieg hatte auch Auswirkungen auf die Stadtwerke München, hierbei vor allem auf unsere Energie-Aktivitäten, und auf unsere Kundinnen und Kunden, mit denen wir seitdem noch intensiver im Austausch sind.
Die neue Situation ist enorm komplex: vielfältige Regulierungen durch die Bundesregierung, schnelle und enorme Preisbewegungen, viel mehr Kundenanfragen, ganz neue Lagen bei der Energiebeschaffung – und zwar kaufmännisch wie technisch-logistisch. Energie wurde von einem selbstverständlichen Bestandteil der Grundversorgung zu einem Gut, über das man sich plötzlich Gedanken machen musste, das nicht nur aus ökologischen Gründen sparsam genutzt werden sollte, sondern physisch knapp war und z. T. noch ist. Eine akute Energiemangellage ist bislang zwar ausgeblieben, weil Menschen wie Unternehmen sparsam waren und sind, und weil es gelungen ist, schnell Alternativen für russische Rohstoffe zu organisieren. Schon dramatischer sind jedoch die sprunghaft gestiegenen Energiepreise, die für viele Unternehmen und Menschen zur hohen Belastung wurden. Hier gibt es vom Bund über die Preisbremsen eine deutliche Entlastung. Zudem unterstützen wir gemeinsam mit der Landeshauptstadt und den Wohlfahrtsverbänden einkommensschwache Haushalte in München.
Vermutlich gab es in den Herbst- und Wintermonaten einen erhöhten Beratungsbedarf von Kunden. Welche Fragen wurden gestellt? Und wie sind die Stadtwerke München damit umgegangen?
Ja, Versorgungslage und Preisentwicklung haben die Mengen an Anfragen an uns durch besorgte Kundinnen und Kunden signifikant erhöht. Schnell haben wir die Kapazitäten unseres Kundenservice deutlich aufgestockt, so dass inzwischen bis zu 80 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz sind, die auch am Wochenende ein offenes Ohr für unsere Kundschaft haben. Denn wir wollen in der Krise erreichbar sein. Dies gelingt uns, wir haben meistens einen Servicelevel von deutlich über 90 %. Auch die Diskussionen in den sogenannten Sozialen Medien haben sich vervielfacht. Im Vordergrund standen die erhöhten Energiepreise, sehr viele hatten Fragen hierzu bzw. ließen vorausschauend ihre Abschläge erhöhen.
Auch unsere Energie(spar)beratung haben wir personell gestärkt und die Kommunikation hierüber deutlich intensiviert sowie eine neue Energiesparkampagne entwickelt. Denn die wirksamste Maßnahme gegen hohe Preise – und den Klimawandel! - ist es, weniger fossile Energie zu verbrauchen, also weniger Kohle, weniger Öl und weniger Gas zu verbrennen.
Unsere Bundesregierung appellierte an uns alle, Energie zu sparen. War bei den Kunden der Stadtwerke München in den Wintermonaten 2022/23 im Vergleich zum Vorjahr tatsächlich ein niedrigerer Energieverbrauch zu beobachten? Wenn ja: Um wie viel ist er in welchen Kundensegmenten gesunken?
Alle Kundengruppen haben im zweiten Halbjahr 2022 erheblich Gas im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gespart. Die Einsparungen lagen bei Haushalts- und Gewerbekunden sowie Industriekunden jeweils über 20 %. Im Jahr 2023 hat sich dieser generelle Trend zur Verbrauchseinsparung fortgesetzt. Auch wenn man berücksichtigen muss, dass die Außentemperaturen bei den aufgetretenen Verbrauchsreduzierungen unterstützt haben, so sind doch die Anstrengungen der Münchner Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen deutlich sichtbar.
Was konkret haben Sie als Energieversorger unternommen, um einerseits zum Energiesparen beizutragen, andererseits trotz sinkender Umsätze bei den SWM Arbeitsplätze zu erhalten? Oder sind die Umsätze aufgrund höherer Preise sogar gestiegen?
Als erstes haben wir bei uns selbst angefangen. Natürlich nutzten wir als zeitgemäßes Energieunternehmen ohnehin schon die Energie effizient. Aber man kann sich immer noch mehr anstrengen. Wir haben die Heiztemperatur und die Warmwasserversorgung reduziert, nicht betriebsnotwendige Lüftungsanlagen umgestellt, Gasdunkelstrahler in den Werkstatthallen reduziert, elektrische Anlagen und Verbrauchsstellen, die für den Betrieb nicht relevant sind, reduziert, etc.
Auf der Angebotsseite haben die SWM ebenfalls Anstrengungen unternommen, die Abhängigkeit von russischer und überhaupt den Bedarf an Energie zu reduzieren: Mit Zustimmung des Stadtrats haben wir die Umrüstung des Kohleblocks im HKW Nord auf Erdgas verschoben, bereits stillgelegte Ölbrenner in zwei Heizwerken reaktiviert, ein 10-Millionen-Euro-Paket zur Beschleunigung des Fernwärmeausbaus in München aufgelegt. Auch die M-Bäder leisteten einen Beitrag zur Energieeinsparung, indem sie im Sommer die Mindesttemperatur in den Freibädern sowie in den Warmwasser-Außenbecken der Hallenbäder senkten. Zudem haben sie zeitweise die Mindesttemperaturen in den Hallenbad-Schwimmbecken gesenkt sowie das Saunaangebot geschlossen oder reduziert.
Natürlich haben die SWM auch die Nachfrageseite in den Blick genommen und ihre Aktivitäten zur Bewältigung der Energiekosten verstärkt. Sie haben die Infos und Beratung zum Energiesparen verstärkt, einen Wärmefonds von zunächst 20 Millionen Euro aufgelegt (er soll den am stärksten von den steigenden Preisen betroffenen Menschen unter die Arme greifen) und einen Energiesparwettbewerb ausgerufen, der diejenigen belohnt, die ohnehin energiesparsam leben oder nachweislich ihren Energieverbrauch reduziert haben.
Und zu Ihrer Frage Umsätze/Arbeitsplätze. Die Anzahl der notwendigen Arbeitsplätze hängt bei den SWM nicht so sehr am Umsatz, sondern eher an den Aufgaben und der Wirtschaftlichkeit. Eine allgemeine Reduktion der Arbeitsplätze bei den SWM steht nicht an.
Natürlich nutzten wir als zeitgemäßes Energieunternehmen ohnehin schon die Energie effizient. Aber man kann sich immer noch mehr anstrengen.
Dr. Florian Bieberbach, Stadtwerke München
DR. FLORIAN BIEBERBACH ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler. Er doziert als Honorarprofessor an der Technischen Universität München "School of Management" und ist Vorsitzender der Forschungsstelle für Energiewirtschaft, zudem Präsident der European Federation of Local and Regional Energy Companies (CEDEC).
Die wirksamste Maßnahme gegen hohe Preise – und den Klimawandel! - ist es, weniger fossile Energie zu verbrauchen.
Dr. Florian Bieberbach
Wie haben Sie sich auf ein Worst-Case-Szenario vorbereitet? – Oder war eine konsistente Energielieferung durch die Stadtwerke München nie gefährdet? (Falls nicht: Warum nicht?)
Die SWM sind ein KRITIS-Unternehmen, das wichtige, zum Teil lebensnotwendige Leistungen der Grundversorgung für die Münchner*innen bereitstellt. Deshalb ist Krisenmanagement einschließlich Vorbereitung auf ein Worst-Case-Szenario ein wesentlicher Teil unserer Unternehmensidentität – sogar unabhängig von einem konkreten Ereignis wie dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wir haben einige Unternehmensbereiche, die kritische Infrastrukturen betreiben, z. B. Energieerzeugung, Energieverteilung, Wassergewinnung und -verteilung mitsamt aller dazu notwendigen Tätigkeiten, wie z. B. die IT. Diese Bereiche verfügen generell über ein eigenes Krisenmanagement, welches auch auditiert und zertifiziert wird. Darüber hinaus haben wir aufgrund der Kriegslage die bestehenden Strukturen und Prozesse sowohl intern als auch zusammen mit dem übergeordneten Krisenmanagement der Landeshauptstadt (z. B. Berufsfeuerwehr und Polizei) analysiert und Vorgehensweisen für den Worst-Case-Fall abgestimmt.
Für eine hohe Energielieferbereitschaft für unsere Kundinnen und Kunden haben wir seit Frühjahr 2022 den Energieeinsatz für unsere Erzeugungsanlagen diversifiziert, also den Einsatz von Gas eingespart, um die Gefahr einer Gasmangellage zu reduzieren bzw. unabhängiger von Gas zu werden. Konkret haben wir die geplante Umstellung des Kohleblocks des HKW Nord auf Gasfeuerung verschoben, dazu auch die notwendige Kohle beschafft und die logistischen Maßnahmen hierfür bewältigt (Sicherung der Lieferketten sowie Zwischenlagerung). Zudem haben wir zwei Heizwerke auf Öl-Feuerung (zurück-)umgerüstet und hierfür den Heizölvorrat gesichert und die Nutzung des Brennstoffs Müll optimiert.
Selbstverständlich analysieren die SWM seit Kriegsbeginn die Versorgungslage laufend und bereiten sich auf unterschiedliche Szenarien vor. Bereits im April 2022 haben wir eine „Taskforce“ eingerichtet, um technisch, wirtschaftlich und politisch bestmöglich auf unterschiedliche Szenarien, inklusive den „Worst Case“ vorbereitet zu sein: Hier stimmen sich Expert*innen und Entscheider*innen aus verschiedenen Bereichen der SWM regelmäßig ab. Die SWM sind außerdem Teilnehmer in einer Arbeitsgruppe der Bundesnetzagentur, in der alle Themen rund um die Versorgungssicherheit diskutiert und abgestimmt werden.
Das Ergebnis ist bislang erfreulich: Die Energielieferung war jederzeit sichergestellt.
Ein Ende des Ukraine-Kriegs ist noch nicht absehbar. Es gibt Stimmen, die den Winter 2023/24 hinsichtlich der Verfügbarkeit von Gas und anderen Energieträgern für mindestens ebenso kritisch halten wie den ersten Ukraine-Kriegswinter. Sehen Sie das genauso?
Ja. Zwar kamen wir mit den Gasmengen ganz gut über den Winter 22/23. Aber die Vorbereitung auf den Winter 23/24 bleibt auch laut der Bundesnetzagentur eine große Herausforderung. Wir sind verhalten optimistisch: Bei richtigen Weichenstellungen, dem weiterhin sparsamen Verhalten von uns allen und etwas Glück mit der Witterung könnten die Gasspeicher auch für den nächsten Winter wieder voll werden. Dann besteht eine große Chance, auch gut über die nächste kalte Jahreszeit zu kommen. Wichtig bleiben auch alternative Bezugsquellen für Gas und Flüssigerdgas (LNG).
Die Stadtwerke München bezeichnen sich als Vorreiter der Energiewende. Durch welche Veränderungen und Weichenstellungen wurden Sie dazu?
Gerade als kommunales Energieunternehmen sehen wir uns in der Verantwortung, die Energiewende maßgeblich mitzugestalten. Bereits vor dem Atomausstieg der Bundesrepublik haben wir bei der Stromerzeugung die Wende beschlossen und 2008 unsere Ausbauoffensive Erneuerbare Energien gestartet und uns ambitionierte Ziele gesetzt. Konkret wollen wir ab 2025 so viel Ökostrom in eigenen Anlagen produzieren, wie ganz München verbraucht. Es schaut gut aus, dass wir das bis 2025 schaffen. Aber weil absehbar ist, dass dann der Stromverbrauch v. a. aufgrund von Elektromobilität und Wärmepumpen weiter ansteigt, werden wir auch nach 2025 engagiert in die Erneuerbaren investieren. Hier legen wir unser Augenmerk verstärkt auf das regionale Ausbaupotenzial, dieses sehen wir in München besonders in der Photovoltaik. Bei der Energiewende ist es vor allem wichtig, wie die Wärme bereitgestellt wird. Deshalb wollen wir den Münchner Bedarf an Fernwärme bis spätestens 2040 CO2-neutral decken, v. a. über Tiefengeothermie. Und wir bauen die umweltschonende Fernkälte aus, um individuelle Klimaanlagen zu ersetzen.
So wichtig es ist, dass wir als Anbieter die Erneuerbaren ausbauen, auch die Nachfragenden, wir alle, können eine Menge tun für die Energiewende. Wir bieten unseren Kundinnen und Kunden attraktive Angebote rund um das eigene Zuhause, wie Ladeboxen für E-Autos, Solaranlagen mit Speicher, Wärmepumpen und mehr. Denn wir setzen den ökologischen Umbau der Münchner Energiewirtschaft auch in der Krise fort.
Vielen Dank für Ihre Zeit. Haben Sie vielleicht noch einen Tipp für unsere Mitarbeiter und Bewohner, wie sie im privaten Umfeld ressourcenschonend mit Energie umgehen können?
Gerne. Zuhause erzielt man die größte Wirkung, wenn man auf Heizen und Warmwasser achtet. Hierzu benötigt man viel Energie – und kann über Sparsamkeit und/oder gute Steuerung viel einsparen. Und wenn etwas häufig oder gar rund um die Uhr läuft, wie z. B. der Kühlschrank, ist es sinnvoll, auf energiesparende Geräte zu achten und diese achtsam zu benutzen.