Menu
alternovum Ausgabe 1/2021

Gefunden

Eine Geschichte von Ursula Meyer-Luyken.

Berlin, 12. März 2021

Es ist nicht das erste Mal, seit ich im KWA-Stift wohne, dass ich etwas verloren, verlegt und doch wiedergefunden habe. Die Konzentration lässt eben nach, besonders wenn man schon über neunzig, genauer gesagt, über sechsundneunzig Jahre alt ist.

„Wo ist mein Schlüsselbund, meine Brille, meine BVG-Jahreskarte Fünfundsechzigplus, mein Taschenkalender? Wann habe ich das alles zum letzten Mal benutzt?“

Suchet so werdet Ihr finden. Ruhig Blut.
Ich mache einfach mal eine paar Verse.
Den Anfang leihe ich mir bei Goethe aus,
dessen Gedicht mit der Überschrift,
„Gefunden“ bekanntlich so anfängt:

Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen,
das war mein Sinn.

Bei mir heißt es:

Ich ging im Zimmer
so für mich hin,
um was zu suchen,
das war mein Sinn. 

Und nun geht’s weiter:

Der Küchenwecker
war nämlich weg,
er half beim Kochen,
das war sein Zweck.

Auf weichem Sofa
ich mittags schlief,
bis oft der Wecker
mich wach dann rief. 

Am Herde sah ich
ihn nicht mehr stehn.
Wo sonst er klingelt,
war nichts zu sehn.

Ich grub ihn schließlich
im Schubfach aus.
Nun weckt er wieder
im hübschen Haus.

Kürzlich habe ich übrigens auch mein linkes Hörgerät – außerhalb des Hauses – verloren. Eigenkosten 1000 Euro. Es wurde gefunden!! Und das ging so:

Ich lief mit Rollator über den Hohenzollerndamm zu „Nah und frisch“, dem kleinen Supermarkt vor der Autobahnbrücke, um einiges einzukaufen. Als ich zurückgekehrt war, stellte ich fest: Mein linkes Hörgerät ist weg! Nun muß man sagen: Es ist nicht nur trocken hinter meinen Ohren, sondern auch reichlich voll: Brille, Hörgeräte und neuerdings auch die Atemschutzmaskenbänder müssen sich diesen Platz teilen. Bei kaltem Wind sogar noch der Mützenrand. Ohrclips lasse ich schon weg, obwohl die mich eigentlich ein bißchen aufwerten...

Also, der Schreck wegen des linken Hörgerätverlusts war groß: 1.000,00 (in Worten: eintausend) Euro Eigenanteil. Ich lief, auf den kleingepflasterten grauen Gehweg starrend, zurück zu „Nah und frisch“ – nichts! Auch nicht im Geschäft, wo ich der freundlichen Inhaberin, Frau Berger, mein Pech schilderte. 

Am nächsten Vormittag ließ ich mir per Telefon bei der HNO-Ärztin, Frau Dr. Ardini, am Roseneck einen Termin für eine Verordnung eines neuen Hörgeräts geben. Ich bekam ihn gleich. Die Arztpraxen sind zurzeit ja ziemlich leer…

Am Nachmittag rief mich Frau Wendenburg, die Redakteurin des KWA-Bewohnerboten, an. Ich hatte ihr auch von meinem Verlust erzählt. Nun verkündetet sie fröhlich: „Ich war bei 'Nah und frisch'. Ihr Hörgerät ist gefunden worden. Ich habe es mitgebracht!" So eine Riesenfreude gab es für mich schon lange nicht mehr!!!

Gern hätte ich nun der Finderin, Frau Berger, ein kleines Geschenk gebracht. Aber was? Blumen, Konfekt und Wein hat sie selber in ihrem Supermarkt. Mir fiel dann etwas ein: Bei meinem letzten Besuch im Februar 2020 zur Monet-Ausstellung im Barberini in Potsdam hatte ich im Museums-Shop eine Briefkarten-Serie mit Impressionisten gekauft, auf Vorrat zum gelegentlichen Verschenken. Diesen kleinen Karton mit einem Gruß „von Ihrer dankbaren treuen Kundin“ brachte ich Frau Berger. 

Seitdem strahlt sie mich an, wenn sie an der Kasse hinter der Plexiglasscheibe (wegen Corona-Virus) sitzt und wünscht mir alles Gute. Und ich strahle zurück!

PS. Frau Dr. Ardini gratulierte mir bei meinem Termin-Absage-Anruf und sagte: „Bis zum nächsten Mal“. Womit sie sicher nicht einen erneuten Hörgeräte-Verlust meinte.


Copyright: Ursula Meyer-Luyken

 

Die Autorin

>> Weitere Berliner Geschichten

lesen Sie außerdem

Cookies