Alternovum-Titelbeitrag von Prof. Dr. Rainer Stollmann
Über Humor soll man eigentlich nicht reden, man soll ihn haben. Das ist insofern sonderbar, als das lateinische „humor“ Feuchtigkeit, Saft bedeutet. „Er hat Humor“ heißt also so viel wie: „Er ist feucht“? Vielleicht deshalb, weil er besonders „trockenen“ Humor hat? Soso, hm!
Über Franz Schubert las ich neulich eine Rezension aus den 1820er Jahren, darin wurde einem seiner Stücke ein „melancholischer Humor“ attestiert. In früheren Zeiten gibt es cholerischen, ärgerlichen, wütenden, zornigen, auch liebevollen und sanften Humor. Außer mit „feucht“ konnte sich mit dem Wort Humor fast jedes Adjektiv verbinden. Das liegt daran, dass „Humor“ bis Mitte des 19. Jahrhunderts einfach „Stimmung“ bedeutete. Und das hat mit der Medizin zu tun, die seit der Antike eine Humoralmedizin, also Feuchtigkeits- oder Säftelehre war. Unsere moderne Medizin betrachtete unseren Körper vor allem in ihrer Anfangsphase seit Mitte des 19. Jahrhunderts eher als Maschine, bei der man Teile einzeln behandeln, eventuell sogar auswechseln kann.
Man denke nur an den Roman über Frankenstein! Die seit der Antike gelehrte Humoralmedizin sah im Körper ein System von vier Säften: Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle. Diese Säfte ergeben im Gleichgewicht den normalen gesunden Menschen. Verlieren sie aus irgendeinem Grund ihre Waage, ergeben sich gewisse Krankheiten, oder, wenn die Dominanz eines oder zweier Säfte nur geringfügig ist, Neigungen zu Krankheiten. So kommt es zu Schuberts „melancholischem Humor“: Er (oder die Klaviersonate) hatte gerade zu viel schwarze Galle!
Jetzt stellt sich aber die Frage, wie es von Humor (= irgendeine Stimmung) zu Humor (= lustige Stimmung, zum Spaß, zum Lachen) gekommen ist. Erlauben Sie, dass ich einen Moment zu einem anderen Wort, das aber auch mit Humor zu tun hat, springe: dem Clown. Clown kommt vom lateinischen „colonus“, bedeutet Siedler, Bauer. Im Zirkus bewundert man mit offenem Mund den tollkühnen Artisten oben auf dem Seil, um danach über den tolpatschigen Clown am Boden, der über seine großen Schuhe stolpert, zu lachen und sich von der nicht ganz ungefährlichen Spannung der Hochseil-Artistik zu „entspannen“.
Der moderne Zirkus ist ein Produkt der französischen Revolution und eine Feier der Vernunft: die Artisten, die Löwenbändiger, die Dressurreiter führen uns die menschliche Überlegenheit des Geistes über die Körper der Tiere und auch über den eigenen menschlichen Körper vor. Der Tiger macht Männchen, der Dompteur kann sogar seinen Kopf in den Rachen des Löwen legen, die Seelöwen spielen geschickt Ball und so weiter: Der Geist beherrscht die Materie. Das alles ist aber großstädtisch, pariserisch, moskauisch oder Groß-London.
Auf dem Land wurde der Zirkus nicht erfunden, der Bauer lebte mit den Tieren unter einem Dach und hätte die Idee, eine Kuh Männchen machen zu lassen, für absurd gehalten. Die Feier der Vernunft gönnt sich eine besonders exquisite Note, wenn sie ihr Gegenteil auch noch thematisiert – im Clown. Unbewusst lacht das Publikum, wenn es über den Clown lacht, über den Bauern, der die Vernunft noch nicht kannte, nicht „aufgeklärt“ war, dem die Materie Streiche spielen kann.
Und so verhält es sich auch mit dem Humor. So wie wir alle über den bäuerlichen Clown außer uns lachen können, sind wir alle nicht zu 100 Prozent vernünftig. Es bleiben gewisse Reste, die sich gegen die Vernunft, die Aufklärung sperren. Diese Relikte an Feuchtigkeit, die sich nicht im neuen Maschinendenken auflösen lassen, also das, was nicht vernünftig werden kann – ist Humor. Alle Kinder lieben Clowns, kein Wunder, denn sie sind noch ziemlich vernunftlos. Nichts schöner, als den großen, erwachsenen Halbgott, der ja sonst im Leben als Vater, Mutter, Lehrer alles weiß und zu bestimmen hat, hinfallen zu sehen, so wie man selbst eben noch im Krabbelalter war und dauernd hingepurzelt ist.
So, als Gegensatz zur Vernunft, kann man Humor recht gut und vernünftig erklären. Aber dann liest man bei einem der größten Humoristen folgenden Satz: „Man glaubt nicht, wie viel Vernunft im Humor steckt.“ Das sagt Jean Paul (1763 – 1825), dessen „Siebenkäs“ und der sich vor nichts ekelnde, Spinnen fressende „Doktor Katzenberger“ zum besten in der deutschen Humortradition gehört. Wieso sollte denn nun „im“ Humor „Vernunft“ stecken, wo wir doch gerade über die Erkenntnis froh waren, dass Humor das ist, was nicht vernünftig werden kann?
Obacht! Jetzt wird es ganz spitzfindig: Wenn Humor spätestens ab 1900 nichts anderes bedeutet als die Bereitschaft, die Welt oder etwas in der Welt komisch und zum Lachen reizend zu finden – dann hatte ein vormoderner, unaufgeklärter Mensch in diesem präzisen Sinne keinen Humor. Denn in den vergangenen 3000 oder 9000 Jahren, als die Menschen vor allem Bauern waren, hatten sie Humor nur in Form von irgendeiner besonderen Stimmung, wie oben angedeutet.
Die Bereitschaft zu lachen, war ein besonderer „Humor“ unter 87 anderen! Erst der vernünftige Mensch trennt das Lustige, Lächerliche, Komische, Alberne usw. grundsätzlich vom Vernünftigen ab. Die Vernunft, gerade weil sie sich allem Unvernünftigen gegenüberstellt (und es im Prinzip „vernünftig“ machen will), erschafft erst den Humor als das ihr Entgegengesetzte. – Das ist Dialektik, stimmt aber!
„Soso, aha“, höre ich jetzt eine meiner geschätzten Leserinnen murmeln: „Dann hatte wohl der Bauer bzw. besonders die Bäuerin keinen Humor, oder was? Das ist doch lächerlich! Jeder Mensch hat schließlich Humor, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Sogar mein Dackel kann lachen!“ Ich als Humorforscher würde der Aussage nicht widersprechen. Wenn man mit Humor meint, dass Tiere lachen können, so wie Menschen, ob Bauern oder Städter, lachen können, dann haben sie sicher auch Humor.
Lachen ist acht Millionen Jahre alt. Schon die Trockennasenaffen, von denen wir abstammen, haben, wie heute noch die Schimpansen, ihre Kinder gekitzelt und so zum Lachen gebracht. Sogar Pferde können lachen – aber eben nur, wenn ein findiger Stallbursche ihnen kräftig mit der Bürste die Achseln kitzelt – jedoch nicht über einen Witz. Witze, genauer: Pointen (wo etwas auf den „Punkt“ gebracht wird) werden erst im 18. Jahrhundert erfunden.
Ein Bauer im 15. Jahrhundert hätte über einen Witz nicht gelacht! Glauben Sie mir, das ist wirklich wahr! Er hätte das, was wir heute Witz nennen, nicht verstanden (zum Lachen über Witze ist Vernunft nötig! Man sagt: Witz und Verstand haben!) – auch wenn er selbst voller „Mutterwitz“ (d. h. ein erfahrener Lacher) gewesen wäre!
Mit anderen Worten: Menschen und Tiere lachen auf dieser Erde schon lange, schon vor dem aufrechten Gang, vor der Erfindung der Sprache, vor der Werkzeugproduktion. Aber Witze mit Pointe gibt es erst seit etwa 250 Jahren. Dass Lebewesen lachen, ist ziemlich ewig, aber worüber sie lachen, das kann sich gewaltig ändern. Bei vernünftigen Menschen will die Vernunft mitlachen, das meiste worüber wir heute lachen – Witz, Komik, Humor, Satire, Late-Night-Shows, Kabarett, Comedians usw. – ist Lachen, an dem die Vernunft / der Verstand teilhat. Da wir vernünftige Menschen sind, lachen wir leichter über Dinge, die die Vernunft kitzeln.
Menschen und Tiere lachen auf dieser Erde schon lange, schon vor dem aufrechten Gang, vor der Erfindung der Sprache, vor der Werkzeugproduktion. Aber Witze mit Pointe gibt es erst seit etwa 250 Jahren.
Rainer Stollmann
Und jetzt schleicht sich vielleicht im Hirn mancher Leser eine Frage an: „Worüber hat denn dann der angeblich so unvernünftige Bauer gelacht, bitte sehr?“ Das kann ich Ihnen sagen: Über das oder die Groteske. Und daran, wie wir heute das Wort „grotesk“ verwenden – nämlich als gleichbedeutend mit: absurd, unmöglich, nicht der Beschäftigung wert – merken wir schon, was uns vom bäuerlichen Lachen trennt. So wie der mittelalterliche Bauer unsere Witze und unsere Komik nicht verstehen würde, verstehen wir das Groteske nicht mehr.
Die bäuerliche, karnevalistische Lachkultur des Mittelalters (deren deutscher Exponent Till Eulenspiegel, deren spanischer Don Quijote, deren französischer Rabelais' Gargantua und Pantagruel ist) ist besonders den Deutschen fremd geworden. Das hat damit zu tun, dass die deutschen Bauern im Bauernkrieg (1525) so fürchterlich geschlagen und danach gequält wurden wie sonst nirgends in Europa. Die vielzitierte deutsche Humorlosigkeit (die parallel geht mit der großen Ernsthaftigkeit der deutschen Hochkultur, besonders der klassischen Musik und der Philosophie) hat dort ihre Wurzeln.
Nun muss man aber sagen, dass wir nach 1945 einiges gutgemacht haben. Loriot, wohl bis heute der größte deutsche Humorist nach 1945, der das Groteske oft streift – nur ist er so höflich, dass man das kaum bemerkt –, ist zum Beispiel bei den Weltmeistern des Humors, den Briten, völlig unbekannt, weil sie den Deutschen sowieso keinen Humor zutrauen – die Macht des Vorurteils!
Karl Valentin, Heinz Erhardt, das politische TV-Kabarett seit den 1960er Jahren mit den Klassikern Dieter Hildebrandt, Georg Schramm, später auch Harald Schmidt und anderen können es nicht nur mit dem britischen Humor aufnehmen. Vielleicht mit der kleinen Einschränkung, die Loriot selbst beobachtet hat: Die Deutschen lachen genauso gern wie alle anderen. Aber sie brauchen ein etwas stärkeres Signal, dass sie jetzt dürfen! – Nun ja, da wir das nun wissen, können wir diese Grenze ja überschreiten und auch lachen, wenn wir nicht dürfen. Wäre doch gelacht, haha!
Der 1947 in Bochum geborene Humor-Experte gilt als einer der bedeutendsten „Lach-forscher“ Deutschlands. Habilitiert hat er sich mit einer Arbeit über die "Natur und Kultur des Lachens". Bis zu seiner Emeritierung hielt der Germanist und Historiker eine Professur am Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft der Universität Bremen.