Von Dr. Harald Parigger.
Ich erinnere mich noch an meine Fahrtenschwimmerprüfung in der 5. Klasse: eine halbe Stunde Dauerschwimmen. Die richtigen Bewegungsabläufe zu üben hatte ich natürlich versäumt – jetzt war es zu spät. Keine Möglichkeit zu mogeln oder die Zeit abzukürzen, ganz gleich, ob man rechts oder links herum, im Kreis oder in Bahnen schwamm, endlos langsam ruckte der Zeiger der Uhr an der Hallenwand vorwärts. Klack, klack, klack, sechzigmal, dann war erst eine Minute vorüber, eine von 30 … ich kam aus dem Rhythmus, Arme und Beine taten mir weh … aber ich musste da durch, aufgeben galt nicht, die anderen schafften es ja auch, oder?
Ich habe oft in diesen zwei langen Corona-Jahren an meine Fahrtenschwimmerprüfung denken müssen: Wieder muss ich, müssen wir alle etwas durchstehen, auf das wir miserabel vorbereitet sind, von dem wir nicht wissen, wie es ausgeht. Was ist falsch, was richtig? Was gewiss, was ungewiss? So herum oder so?
Am Anfang, da war es noch leicht: Prächtiges Wetter, herrliche Spaziergänge, endlich einmal Zeit füreinander, Muße zum Nachdenken, für ruhiges Arbeiten, neue Ideen. Ich habe mich noch lustig gemacht über Leute, die schon nach ein paar Wochen anfingen zu jammern:
Mein Covid-19-Tagebuch
Am Sonntag trinkt man Alkohol,
am Montag fühlt man sich nicht wohl,
am Dienstag geht man Essen kaufen,
am Mittwoch wird ein Stück gelaufen,
am Donnerstag das Haus geputzt,
der Freitag für den Sex genutzt,
am Samstag gibt es abends Streit,
so ist sie, die Corona-Zeit …
Aber allmählich verging mir doch der Spott: Kaum mehr Freunde sehen. Kaum mehr verreisen, nicht mehr in die Oper oder ins Konzert gehen, keine Lesungen mehr machen können, nicht mehr Essen gehen dürfen, Feiern und Einladungen absagen müssen … Das war auf die Dauer schon sehr frustrierend, und es half wenig, sich zu sagen, dass es anderen sicherlich viel schlechter ging, in engen Stadtwohnungen, mit kleinen Kindern. Bedrückend wurde es dann mit den Meldungen über Schwerstkranke, Sterbende und Tote, mit den ersten Infektionen im Freundes-und Bekanntenkreis, mit der Not der Künstlerinnen und Künstler, den Hilferufen des Krankenhauspersonals, dem Sterben der Gastronomiebetriebe.
Wie gern hätte man da einen Halt gehabt, gehofft auf eine Politik der ruhigen Hand und der klaren Führung, auf eine Gesellschaft, die zusammenhält im Kampf für die Gesundheit und das Wohlergehen aller! Wie sehr wurden diese Hoffnungen enttäuscht: Ziel-, kraft- und mutlose Politik mit widersprüchlichen, eigennützigen, kurzsichtigen Entscheidungen einerseits und eine Gesellschaft andererseits, in der eine lautstark krakeelende Minderheit die Mehrheit überschreit und bereit ist, in einer Mischung aus Ignoranz und persönlichem Frust Rechtlichkeit, Vernunft und Wertsystem unserer staatlichen Ordnung aufs Spiel zu setzen.
Dabei weiß jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat: Wir müssen diese Pandemie durchstehen, auch wenn sich ihre Dauer so zu dehnen scheint, wie für mich damals die halbe Stunde Schwimmen fürs Fahrtenschwimmerzeugnis. Wir müssen da durch – und zwar mit Anstand und Vernunft.
Sonst gehen wir baden.
Das Copyright zu diesem Beitrag verbleibt bei Dr. Harald Parigger.