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alternovum Ausgabe 2/2021

Kolumne: Glückes genug ...

Von Dr. Harald Parigger.

Amerang, 22. Juli 2021

Beim Nachdenken über das „Glück“ fällt mir ein Gedicht ein, kein schlechtes, doch wäre es wohl längst vergessen, hätte es Franz Schubert nicht als „Der Wanderer“ vertont. Wie etliche Gedichte seiner Zeit (es entstand um 1820) ist es eine Allegorie auf das Leben, das als mühsamer Weg durch Einsamkeit und Fährnisse beschrieben wird. Heimatlos und ohne eigentliches Ziel sucht das lyrische Ich sehnsuchtsvoll nach dem Glück, um am Schluss die bittere und endgültige Erkenntnis zu gewinnen: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“

Ich frage mich, ob dieses hoffnungslose Resümee eines ganzen Lebens wegen des Glücksverständnisses, das aus ihm spricht, nicht auf einem tragischen Irrtum beruht: Alle verschlungenen Pfade, alle Mühen hätten danach nur den Zweck, das „Glück“ zu finden, mit dem Risiko, am Ende diese traurige Bilanz ziehen zu müssen – vergleichbar einem Goldsucher am Sacramento River, der nach langer Schinderei am Ende ärmer fortgeht als er gekommen ist.  Aber während er wenigstens weiß, wonach er gesucht hat, nach Nuggets nämlich, ist dem Glückssucher noch nicht einmal recht klar, was er zu finden gehofft hat. Was sollte das für ein „Glück“ sein? Eine dauerhafte Liebe? Reichtum? Ein Leben ohne Krankheiten? Erfolg und Ruhm? Oder all dies zusammen? Weiß der verzweifelte Sucher, weiß überhaupt jemand genau, was Glück ist?

Der lebenskluge Fontane meinte lapidar: „Gott, was ist Glück? Eine Grießsuppe, eine Schlafstelle, keine körperlichen Schmerzen, das ist schon viel.“ Der alte Goethe setzte in den Gesprächen mit Eckermann Glück einmal mit „Behagen“ gleich, das ihm nur selten und für kurze Zeit beschieden gewesen sei, und ein französischer Lebenskünstler soll geäußert haben: „Glück besteht aus einem hübschen Bankkonto, einer guten Köchin und einer tadellosen Verdauung“.

Diesen arg prosaischen Vorstellungen von Glück mag ich mich nicht anschließen, aber an das große Glück, gleichsam als anzustrebenden lebensprägenden Dauerzustand,  glaube ich auch nicht: dergleichen ist den Unsterblichen im Elysium vorbehalten.  Unser wechselvolles Leben ist viel zu sehr von Unwägbarkeiten bestimmt, als dass man etwas suchen oder gar planen könnte, das man obendrein gar nicht eindeutig zu definieren vermag.

Wenn es aber so nicht ist, wie und was könnte es dann sein, das vielbeschworene Glück? Ich halte es für einen Augenblick, einen köstlichen Moment: Wie den ersten tiefen Schluck eines vorzüglichen Weißweins an einem Sommerabend auf einem Balkon über einer herrlichen Landschaft. Er macht froh,  man kann sich seiner dankbar erinnern, aber dauerhaft machen kann man ihn nicht.

Solche Momente des Glücks habe ich immer wieder erlebt: Zum Beispiel, als ich mein Rigorosum hinter mich gebracht und das Prüfungszimmer verlassen hatte. Es war sehr gut gelaufen, ich war unendlich erleichtert. Da sah ich im Gang vor mir meine junge Frau, mit einer Rose und einer Flasche Champagner in Händen, flankiert von meinen engsten Freunden – und plötzlich durchströmte mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl, das ich bis heute nicht vergessen habe. Ein andermal kam ich, nach einer anstrengenden Arbeitswoche, spät abends müde auf dem menschenleeren Heimatbahnhof an, als mein zweijähriger Sohn auf kurzen Beinchen auf mich zu stürzte und sich mit einem jauchzenden „Papa!“ in meine Arme warf. Da war er wieder, dieser unverhoffte, spontane Augenblick vollkommenen Glücks. In Konzerten habe ich ihn auch empfunden, bei ganz bestimmten Werken, bei ganz besonderen Interpretationen, die etwas in mir bewirkten, das mir den Atem raubte und mich mit einer ungetrübten Freude erfüllte.

Man könnte diese Art des Glücks nun als bloße Chemie abtun, als Ausstoß von Hormonen, aber es ist mehr. Denn jeder dieser Momente ist mir in Erinnerung geblieben, hat mich geprägt, meinen Mut und meinen Optimismus gestärkt.

Eine stete, ausgeglichene Zufriedenheit gibt es sicherlich; an ein dauerhaftes Glück als beseligendes Hochgefühl vermag ich indes nicht zu glauben, es passt nicht zu den Wechselfällen des Lebens – und wer weiß, ob es überhaupt erstrebenswert wäre. Eine wunderbare Erfahrung aber sind die aus dem Augenblick, der Situation geborenen Empfindungen des Glücks, die man nicht planen und nicht vorhersehen kann. Wer sie immer wieder erleben darf, der hat, wie es in einem Lied des jungen Richard Strauss heißt, „Glückes genug“.

 

Hinweis der Redaktion: Das Copyright zu diesem Beitrag verbleibt bei Dr. Harald Parigger.

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