KWA EXKLUSIV-INTERVIEW – Das Gespräch führte Sieglinde Hankele.
Frau May, in unserem Titelbeitrag setzt sich der Philosoph Christoph Quarch mit einer essentiellen Gefahr auseinander, die er in modernen Technologien sieht. Wie geht es Ihnen damit?
Je mehr wir uns in der virtuellen Welt bewegen, desto weniger sind wir in der realen. Ich sehe vor allem die Gefahr der Entmenschlichung. Wir werden immer egoistischer. So als ob der Mensch nicht den anderen bräuchte, sondern nur noch die Maschine. Natürlich ist es toll, dass ich via Internet mit meinen Kindern in London oder mit meiner 97-jährigen Mutter in Kontakt treten kann und wir einander Fotos zeigen können, auch wenn wir an verschiedenen Orten sind. Ich hab‘ aber auch schon eine andere tolle Erfahrung gemacht. Als wir auf dem Mekong gedreht haben, hatten wir eine Woche lang kein Netz. Einige wurden immer nervöser. Ich immer ruhiger. Mit dem Netz waren ja auch die oft schlimmen Weltnachrichten ausgeblendet. Mangels Ablenkungen wurden meine Sinne für die Natur geschärft.
Vieles wird heute von Algorithmen beeinflusst. Sind Ihnen Google und Messenger suspekt?
Es gibt keine Nischen mehr. Wir sind durchsichtig wie ein Diabild. Damit kann ich leben, ich habe nichts zu verbergen. Ich versuche aber, meine Privatsphäre zu schützen – Kinder, Enkelkinder und Freunde. Meinen Laptop benutze ich nur zum Anschauen von Filmen. Das meiste mache ich mit dem Handy. Ich bin ja viel unterwegs, machmal lange. Dass man vieles per E-Mail erledigen kann, ist einerseits gut, andererseits setzt es einen unter Druck. Es gibt Menschen, die sofortige Antwort erwarten. Das kann aber keiner leisten. Was mich nachdenklich stimmt, sind die zunehmenden Aggressionen im Alltag und der respektlose, teils grobe Umgangston auf der Straße, aber auch beim Einkauf. Erschüttert war ich, als eine junge Mutter beschimpft wurde, weil sie mit Kindern und Buggy am Marktstand relativ viel Platz brauchte. Sie kann sich doch nicht in Luft auflösen oder die Kinder an einer Straßenecke stehen lassen. Das hab‘ ich der Person gesagt, die so unwirsch war.
Welche Werte halten Sie persönlich hoch?
Wahrheit. Gerechtigkeit. Nächstenliebe. Die zunehmende Technisierung und Digitalisierung beeinträchtigt das. Viele denken nur noch an ihren eigenen Vorteil. Und ich habe den Eindruck, dass zu viel Zeit verlorengeht mit den Medien und dem Handy, wenn ich beispielsweise auf dem Spielplatz junge Eltern beobachte. Ein Handy sollte kein Familienmitglied sein. Ich würde mir wünschen, dass sich jeder vornimmt, die Nutzung zu begrenzen, sodass mehr Zeit für das wirkliche Leben bleibt. Am wichtigsten in meinem Leben ist mir der Mensch.
Gab es Rollen, die Sie abgelehnt haben, weil sie eine Kollision mit Ihren Werten sahen und Sie beispielsweise keine Mörderin spielen wollten?
Ganz im Gegenteil. Als Schauspielerin ist es für mich ja ganz besonders interessant, dass ich alle Facetten menschlichen Lebens darstellen kann. Wie kommt ein Mensch so weit, dass er zum Mörder wird? Was ich ablehne, sind langweilige, sinnlose Stoffe. Und auch Figuren, die überflüssig sind. Ich bin auch schon aus einer Serie ausgestiegen, weil ich die Figur nicht weiterentwickeln konnte. Dazu hatte ich Ideen vorgebracht. Doch die Frau sollte eine brave Hausfrau und Mutter bleiben, durfte nicht zur Umweltschützerin werden.
Die Liste der Fernsehfilme und –serien, in denen Sie gespielt haben, ist lang und vielfältig, reicht von 1963 bis heute. Woran erinnern Sie sich besonders gerne?
Einschneidend war sicherlich mein allererster Film. O. W. Fischer war im Film mein Vater. Er war schon sehr bekannt, man hatte mir viel über ihn erzählt. Und dann kam er im Trainingsanzug und mit Zipfelmütze zum Dreh. Die Zusammenarbeit mit Helmut Dietl bleibt ebenfalls unvergesslich. Bei Münchner G‘schichten, Monaco Franze und Kir Royal beispielsweise. Aber auch die Dreharbeiten mit Franz Xaver Bogner für die Serien Zur Freiheit und Irgendwie und Sowieso. Oder die zehn Jahre Polizeiruf mit Edgar Selge. Jeder einzelne Film der Serie hatte eine besondere Aussage. So geht es mir auch mit den Büchern von Nicola Förg. Seit neun Jahren lese ich ihre Romane vor – für Hörbücher. Das sind nicht nur irgendwelche Alpenkrimis. Da steckt viel mehr drin. Mal sind ausländische Pflegekräfte ein Thema. Dann Tierhaltung. Auch Glyphosat in Lebensmitteln hat sie thematisiert, lange bevor das in der Öffentlichkeit war.
Als ausgebildete Schauspielerin haben Sie auch immer auf Bühnen gespielt. Welche Rollen mochten Sie besonders?
Viele. Und alles, was ich gerade spiele, ist mein aktuelles Liebesprojekt. Ich kann mir die Stücke ja aussuchen. Die Auswahl treffe ich danach, ob die Figur, die mir angetragen wird, eine Tiefe hat, die mich anspricht. Und ich überlege mir auch, ob ich dieses Stück selbst gerne sehen würde. Das nächste Bühnenstück ist Der Sittich, ein französisches Schauspiel, Szenen einer Ehe.
Sie engagieren sich für Verschiedenes, nennen es Charity. Es geht also darum, anderen etwas Gutes zu tun.
Die Welt ist so ungerecht. Da bin ich gerne bereit, mich einzubringen, damit es Benachteiligten bessergeht. Am liebsten helfe ich Kindern, hier bei uns und in der Ferne. Deshalb bin ich Botschafterin für die Welthungerhilfe und für SOS Kinderdörfer. Ganz wichtig dabei scheint mir Spendentransparenz. Und Hilfe zur Selbsthilfe. Dieser Ansatz findet sich ja bei den Milleniumsdörfern. Das sind Dörfer in Afrika, die auf diese Weise aus der Armut geführt werden. Wahre Heldinnen sind für mich aber Kinderdorfmütter und Pflegekräfte, die mit großer Menschenliebe ihre Arbeit tun.
Die Welthungerhilfe und SOS Kinderdörfer sind also zwei Herzensprojekte. Aber da gibt es ja noch ein weiteres: Mukoviszidose-Patienten.
Es ist mein allererstes Charity-Projekt, und mir immer noch sehr wichtig. Und das hat auch einen Grund. Mitte der 90er Jahre kam eine Nachbarin auf mich zu, ob ihr Sohn vielleicht meinen Töchtern Klavierunterricht geben könne. Er hatte Musik studiert, konnte aber keine Engagements annehmen, weil die mit seiner Mukoviszidose-Erkrankung verbundenen Einschränkungen unkalkulierbar waren. Das hat mich tief berührt. Deshalb wollte ich etwas tun, um die Chancen von Erkrankten zu verbessern. Mukoviszidose ist ja genetisch bedingt und nicht heilbar. Damals lag die Lebenserwartung bei Mitte zwanzig. Und leider verstarb auch der junge Mann aus der Nachbarschaft in diesem Alter. Die Pharmaindustrie hatte kein Interesse an der Erforschung der Krankheit, weil es mit vergleichsweise wenigen Patienten nichts zu verdienen gab. Aus diesem Grund habe ich vor allem auf Forschung gesetzt und Gelder dafür gesammelt. Dank Forschung weiß man heute, wie wichtig die Früherkennung ist, und, mit welchen Therapien man die Lungen am besten stärken kann. So ist die Lebenserwartung in den vergangenen 25 Jahren um fast 30 Jahre gestiegen. Vielleicht gelingt ja eine weitere Steigerung. Das wünsche ich mir sehr.
Und was steht sonst noch an?
Tatsächlich bin ich an einem neuen Projekt dran, bei dem ich mich gemeinsam mit Elmar Wepper engagieren möchte. Das heißt RETLA – rückwärts gelesen: ALTER. Bei RETLA wollen wir uns für ältere Menschen einsetzen, beispielsweise in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe und generationsübergreifende Projekte. Doch das, was wir genau machen wollen, muss erst noch reifen.
Zum Titelbeitrag des Philosophen Christoph Quarch: "Der Mensch ist keine Maschine"
Wir werden immer egoistischer. So als ob der Mensch nicht den anderen bräuchte, sondern nur noch die Maschine.
Michaela May
Die 1952 in München als Getraud Mittermayr Geborene besuchte in den 1960er Jahren, parallel zu einer Ausbildung zur Kindergärtnerin, eine Schauspielschule. Die Schauspielkarriere unter dem Künstlernamen Michaela May nahm rasch Fahrt auf, setzt sich bis heute fort. Sie engagiert sich schon seit längerer Zeit für die Welthungerhilfe, SOS-Kinderdörfer und Mukoviszidose-Patienten. Eine Auswahl besonderer Auszeichnungen:
2019 Bambi Ehrenpreis
2017 Deutscher Fernsehpreis (Bester Fernsehfilm: „Familienfest“)
2011 Bayerischer Verdienstorden
2009 Medaille in Gold "München leuchtet"
2007 Staatsmedaille für Soziale Verdienste zur Mukoviszidose Stiftung
2006 Adolf-Grimme-Preis in Gold (Beste Darstellerin, für POLIZEIRUF 110, „Der scharlachrote Engel“)
2005 Deutscher Fernsehpreis (Beste Krimireihe, für POLIZEIRUF 110 – „Der scharlachrote Engel“)
Mehr über die Schauspielerin siehe www.michaelamay.de
Die Welt ist so ungerecht. Da bin ich gerne bereit, mich einzubringen, damit es Benachteiligten bessergeht. Am liebsten helfe ich Kindern.
Michaela May
Wahre Heldinnen sind für mich Kinderdorfmütter und Pflegekräfte, die mit großer Menschenliebe ihre Arbeit tun.
Michaela May