Eine hochbetagte Stiftsbewohnerin, die an Covid-19 erkrankt war, und ihre Tochter blicken auf die Erkrankung zurück. – Ein Beitrag von Sieglinde Hankele.
Helga Wiesner wohnt seit Ende Juli 2019 im KWA Stift am Parksee in Unterhaching in einer hübsch eingerichteten Zwei-Zimmer-Wohnung. Dort konnte sie auch ihre Corona-Quarantäne-Zeit verbringen. Sie war die erste Bewohnerin des Unterhachinger KWA-Wohnstifts, die positiv auf Covid-19 getestet wurde. Freundlicherweise hat sie sich dazu bereiterklärt, etwas über sich und die Erkrankung zu erzählen.
Zunächst zu ihr als Person: Sie ist 1935 in Speyer geboren. Die Kindheit verbrachte sie dann an verschiedenen Orten. 1945 wurde die Mutter mit den beiden Töchtern und dem Sohn evakuiert, so kamen sie zur Großmutter in die Hallertau. Ihre Abiturprüfung legte Helga Wiesner in Ingolstadt ab. Sie studierte dann in München. Mit einem Kaufmann-Diplom und einem Handelslehrer-Diplom in der Tasche wurde sie schließlich Berufsschullehrerin, unterrichtete vor allem Steuerrecht. Zusammen mit ihrem Mann – einem Lehrerkollegen – bereiste sie die halbe Welt. Längst ist sie Großmutter. Die Tochter, eine Grundschullehrerin, schenkte ihr drei Enkelkinder. Besuche der Familie – und auch Besuche ihrer Schwester, die genau wie die Tochter in München lebt – vermisst sie. Vor der Corona-Krise wurde sie immer wieder mal zu einem gemeinsamen Spaziergang abgeholt. Oft gingen sie dann auch gemeinsam Essen. Sie hofft, dass das bald wieder möglich sein wird.
Dass die Tochter in der Phase der Erkrankung mehrmals täglich bei ihr in der Wohnung angerufen hat, und bisweilen auch ihre Schwester, hat ihr gutgetan. Den Satz einer Pflegekraft des Stifts am Parksee „Frau Wiesner, wir kümmern uns um Sie“ – gleich, nachdem sie von der Infektion erfahren hatte – empfand sie ebenfalls als sehr beruhigend. „Ich fühlte mich gut aufgehoben“, sagt die Stiftsbewohnerin. Allerdings ging ihr während der Erkrankung der Überblick über die Situation bisweilen verloren.
Wie es zur Infektion kam, lässt sich nicht nachweisen, jedoch erahnen. Eine Tumor-Operation vom Januar erforderte Nachsorge. Zu diesem Zweck war Helga Wiesner im Lauf des Monats März drei Mal in einer Klinik. Als sie sich Anfang April schlecht fühlte und leichtes Fieber hatte, wurde die Tochter unruhig, nahm Kontakt mit Hausleiterin Alexandra Kurka-Wöbking auf. Diese veranlasste über die Hausarzt-Praxis einen Covid-19-Test sowie einen Wiederholungstest: Beide brachten ein positives Ergebnis. Die Seniorin hatte sich tatsächlich infiziert. Schwäche und Schläfrigkeit waren stark ausgeprägt. „Am meisten hat mir aber zu schaffen gemacht, dass ich nicht klar denken konnte. Ich war irgendwie weg, wie nach einer Narkose, obwohl das Fieber nicht hoch war“, berichtet die 84-Jährige. Kopfschmerzen hatte sie auch vorher schon immer wieder mal. Doch während der Covid-19-Infektion waren diese anders. Wie Stiche im Hinterkopf. Auch ein Ausschlag im Gesicht, der mit Juckreiz verbunden war, plagte sie.
Obwohl ein Test vom 18. April ein negatives Ergebnis brachte, bei ihr also schon nach 14 Tagen das Covid-19-Virus nicht mehr nachzuweisen war, ging es für sie nur langsam aufwärts. Die Krankheitsgeschichte der vergangenen Jahre und die schwere Operation vom Januar trugen wohl dazu bei, dass sie zur Erholung eine längere Zeitspanne brauchte als erhofft.
„Erst seit Anfang Juni fühle ich mich wieder einigermaßen normal“, sagt Helga Wiesner. Nun greift sie wieder – wie vorher auch – täglich zur Zeitung und gerne zu einem guten Buch, am liebsten liest sie zeitgenössische Literatur. Sie hat jetzt auch Blumen auf ihrem Balkon und kann diese selbst hegen und pflegen. Die Blumen gedeihen prächtig, darauf ist sie stolz. Und wenn sie über die Blumenkästen blickt, kann sie den Parksee sehen, die Fontäne, die Enten und auch die Menschen, die dort spazieren gehen.
Ob sie sich sehr geängstigt hat, nachdem sie von der Covid-19-Infektion erfahren hatte? „Natürlich habe ich in den ersten Monaten des Jahres alles eingesogen, was zu diesem Virus in der Zeitung stand oder im Fernsehen kam. Aber geängstigt habe ich mich nicht. Ich habe 14 Operationen hinter mir, die zum Teil schwer waren“, sagt Helga Wiesner. „Da musste ich immer mit allem rechnen.“ Dennoch tut sie nun alles dafür, um wieder fit zu werden, besucht beispielsweise das Gedächtnistraining, das seit Kurzem wieder im Wohnstift angeboten wird – unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln.
Auch mit Tochter Barbara konnte ich Anfang Juni telefonieren, rund zwei Monate nach der Covid-19-Infektion der Mutter. Sie beschrieb, was sie im Gespräch mit der Mutter übers Telefon wahrgenommen hat: Am 1. April hat die Mutter während eines Telefonats stark gehustet. Wenige Tage vorher hatte sie ihr ein neues Fieberthermometer gekauft. Dieses zeigte erhöhte Temperatur an. Während die Mutter dachte, dass sie sich erkältet hat, machte sich die Tochter angesichts der vorangegangenen ambulanten Klinikaufenthalte Sorgen, veranlasste über die Hausleiterin eine Testung – und tatsächlich kam binnen eines Tages leider ein positives Testergebnis. „Da ging es meiner Mutter noch vergleichsweise gut, wir konnten uns fast normal unterhalten“, so die Tochter. „Und eigentlich dachten wir angesichts des wahrscheinlichen Infektionszeitpunkts, dass die Symptome bald weniger werden würden. Doch das Gegenteil war der Fall.“ Helga Wiesner wurde immer schwächer, aß weniger, schlief zunehmend mehr. Neben der Temperatur wurde auch die Sauerstoffsättigung des Blutes – anfangs mehrmals täglich – überprüft, durch eine Pflegekraft des Stifts. Die Sättigung näherte sich einem kritischen Grenzwert. „Da fühlte ich mich ganz schön machtlos“, gesteht die Tochter.
„Als Mutter nach einigen Tagen fieberfrei war, riet ich ihr, viel auf den Balkon zu gehen und immer wieder frische Luft in die Wohnung zu lassen“, berichtet die Tochter. Auch viel zu trinken, empfahl sie ihr. – Das haben auch die Pflegekräfte getan. Inwiefern die Mutter die Ratschläge beherzigt hat, weiß die Tochter bis heute nicht. Besuche im Wohnstift waren ja nicht möglich. Und da sie die Mutter zur ambulanten Behandlung in die Klinik gefahren hatte, stand sie selbst unter häuslicher Quarantäne, samt Ehemann und Sohn. So musste sie sich voll und ganz auf eine gute Betreuung im Wohnstift verlassen.
Nach der zweiten Krankheitswoche ging es mit der Mutter dann langsam wieder bergauf. Was für eine Erleichterung.
Dass die Angehörigen mit Briefen über das Infektionsgeschehen im Haus auf dem Laufenden gehalten wurden, bewertet die Tochter als überaus wichtig. Für die Besuchsbeschränkungen hat sie volles Verständnis. Auch noch im Juni. „Man kann nicht so tun, als ob alles so wäre wie vorher. Und es wäre tragisch, wenn durch Unvernunft das Virus wieder ins Stift gelangen würde“, sagt sie. Gleichwohl versteht sie den Wunsch von Bewohnern, sich wieder im öffentlichen Raum aufzuhalten. Seit die Mutter die Erkrankung überstanden hat, geht sie wieder vor die Tür, für kleine Spaziergänge oder Arztbesuche. Mutter und Tochter denken, dass die Seniorin genug Antikörper hat und das Virus nun auch nicht mehr übertragen kann. Ein Stück Unsicherheit bleibt.
Am meisten hat mir zu schaffen gemacht, dass ich nicht klar denken konnte ... obwohl das Fieber nicht hoch war.
Helga Wiesner