Alternovum-Titelbeitrag von Prof. Dr. Martina Wegner.
Auch in Deutschland ist spätestens jetzt der Punkt erreicht, an dem wir hautnah zu spüren bekommen, dass das Klima sich verändert. Ganz offiziell warnt das Umweltbundesamt auf seiner Homepage, dass die Temperaturen in unserem Land steigen und veränderte Niederschläge die Menge des verfügbaren Wassers in unterschiedlicher Weise, aber immer öfter mit extremen Auswirkungen beeinflussen: In Brandenburg brennen die Wälder, weil es zu trocken ist und im Sommer 2021 wurde das Ahrtal durch extreme Niederschläge überschwemmt. Aber unsere Zukunft ist auch durch andere Einflussfaktoren bedroht, die sich auf unser Überleben und unser Zusammenleben auswirken.
Nachdem in der Wirtschaftswunderzeit die ersten Umweltschäden sichtbar wurden, war klar, dass diese vor nationalen Grenzen nicht haltmachen. Die Wissenschaft hat auf internationaler Ebene immer wieder vor Umweltschäden gewarnt. Und auch wenn eine politische und strategische Koordination von Umweltmaßnahmen herausfordernd ist, hat man auf eine globale Bewältigung von Umwelt- und Armutsproblemen gesetzt.
Bereits 1972 hat der Club of Rome eine Studie beim renommierten Massachussetts Institute of Technology (MIT) in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in dem Buch „Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht wurden. Die Wissenschaftler prognostizierten darin einen starken Anstieg der Weltbevölkerung, die auch bei weiterer Steigerung der Nahrungsmittelproduktion nicht ausreichend ernährt werden kann, eine durch steigende industrielle Produktion verursachte, beschleunigte Umweltzerstörung und Erschöpfung der wichtigsten Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Eisenerz. In Folge dieser Studie forderte der Club of Rome eine freiwillige Begrenzung des industriellen Wachstums.
Auch wenn sich seit dieser Zeit auch in Deutschland bereits Naturschutzgruppen und wirtschaftskritische Gruppen formierten, wurden die Probleme nicht systematisch von der Politik aufgenommen und antizipiert. Wie sehr man sich in den damals von den Grünen und ihren Ideen zu einem alternativen Wachstum und gesellschaftlichen Veränderungen bedroht fühlte, zeigte sich auch darin, dass der Verfassungsschutz die Grünen in den 1980er Jahren überwachen ließ. Auch in der Gesellschaft waren die „Ökos“ als Spinner verschrien.
Ein weiterer Meilenstein war der Brundtland-Bericht 1987. Die Vereinten Nationen gründeten im Jahr 1983 die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, die den Auftrag erhielt, einen Weg zu einer tragfähigen, umweltschonenden Entwicklung aufzuzeigen. Unter dem Vorsitz der Ministerpräsidentin von Norwegen, Gro Harlem Brundtland, wurde der Bericht unter dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft“ veröffentlicht und definierte erstmals das Ziel einer „Nachhaltigen Entwicklung“, machte es politikfähig.
Das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung lautet „Die Menschheit ist einer nachhaltigen Entwicklung fähig – sie kann gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu beeinträchtigen.“ Diese etwas kompliziert klingenden Definition verweist auf grundlegende Gerechtigkeitsfragen: Zum einen fordert sie, dass die heute auf der Welt lebenden Menschen alle Zugang zu Wasser, Bildung, Nahrung und eine saubere Umwelt haben, aber dies nicht zu Lasten einer zukünftigen Generation verfügbar gemacht werden darf.
Das bedeutet, dass wir uns heute um weltweite Umweltfragen kümmern müssen und im globalen Süden nicht unmenschliche und zerstörende Arbeitsbedingungen zur Herstellung unserer Produkte akzeptieren dürfen, aber auch, dass wir die Welt den kommenden Generationen in gutem Zustand übergeben müssen, damit sie ihr Leben gestalten können.
“Nachhaltige Entwicklung“ ist also ein Generationenthema, das die Generationen im besten Fall sogar verbindet. Dieser Generationengedanke bestätigt sich darin, dass es in Ergänzung zu den Fridays for Future auch die „Omas for Future“ gibt, die auf der Straße protestieren.
Der Brundtland-Bericht hat den 1992 in Rio de Janeiro stattfindenden Weltgipfel beeinflusst, auf dem unter anderem die Klimaschutz-Konvention und die Biodiversitätskonvention gehören, aber auch die Agenda 21, die Nachhaltigkeitsstrategien auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene einforderte. Viele werden sich noch an die Agenda-21-Gruppen in ihrer Stadt oder ihrem Dorf erinnern, die versuchten, Umweltthemen aufzugreifen und vor Ort Lösungen zu finden. Den Agenda-21-Gruppen ist es gelungen, die Bürgerschaft zu aktivieren und ein Bewusstsein für Umweltfragen zu schaffen.
Der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, erkannte, dass die Unternehmen einen großen Anteil an Leid und Umweltzerstörung in der Welt haben. Um Unternehmen davon abzuhalten, Länder und ihre Ressourcen, aber auch Menschen auszubeuten, hat er den Global Compact gegründet. Zögernd haben sich Unternehmen dem Bund angeschlossen und sich damit auf 10 freiwillige Prinzipien verpflichtet, die zwar ambitioniert sind, aber weder klare Ziele vorgeben noch kontrolliert werden.
Unter dem Begriff der „Corporate Social Responsibility“ (CSR) wurden die Ziele auf das einzelne Unternehmen heruntergebrochen: Unternehmen sollen mit Blick auf ökonomische, ökologische und soziale Aspekte ihre Leistungsfähigkeit darstellen. Ökonomische Aspekte sind zum Beispiel die Gremienstruktur des Unternehmens oder der Umgang mit Korruption, bei ökologischen Aspekten berichtet das Unternehmen über Energieverbrauch und Müllvermeidung und bei den sozialen Aspekten geht es einerseits darum, welche Arbeitsbedingungen das Unternehmen bietet, aber auch, ob es etwas für die Gesellschaft tut, beispielsweise die Unterstützung karitativer Projekte oder die Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Da eine Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht zum Ziel geführt hat, wurden jetzt auf europäischer und deutscher Ebene Gesetze formuliert, die die Unternehmen stärker auf die Nachhaltigkeit verpflichten: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist ab einer bestimmten Unternehmensgröße gesetzlich verpflichtend; es wurde ein Lieferkettengesetz entworfen, bei dem die Unternehmen bestimmte Standards bei allen Zulieferern sicherstellen müssen; und in der Taxonomie der EU wurde festgelegt, dass Unternehmen bei Investitionen nachhaltige Aspekte berücksichtigen müssten.
Es war zu erwarten, dass durch die Beteiligung der Grünen an der Regierung, diese Gesetze endlich verabschiedet und umgesetzt werden – aber nun binden die Entwicklungen in der Ukraine viel Energie und verlangen andere Prioritäten.
Oft hört man, dass „der Einzelne“ ja nichts tun kann, dass die Klimaveränderung auf globaler Ebene oder durch andere Akteure gelöst werden muss. So ganz stimmt das nicht, denn wenn wirklich jeder Einzelne etwas tut, ist das in der Masse doch effektiv. Viele Produkte weisen schon darauf hin, dass sie umweltfreundlich entstanden sind und es gibt Biolebensmittel, die die Natur schonen und Putzmittel, die umweltverträglich sind. Darüber hinaus sind viele Ratgeber entstanden, wie man nachhaltig leben kann.
Leider leiden wir aber mehrheitlich doch unter einer so genannten „kognitiven Dissonanz“: Wir wissen einerseits, dass wir dem Klima schaden, aber dennoch verreisen wir mit dem Flugzeug, essen wir zu viel Fleisch, kaufen wir billige T-Shirts, lassen wir Licht und Heizung unnötig lange an. Wir wollen auf unsere lieben Gewohnheiten nicht verzichten, auch wenn sie tatsächlich nur Gewohnheiten sind und unsere Lebensqualität nicht wirklich verbessern.
Energie sparen ist in Zeiten knapper Ressourcen und hoher Preise ein Zeichen von Klugheit.
Prof. Dr. Martina Wegner
Es gibt einige Stimmen, die Maßnahmen der nachhaltigen Entwicklung sofort als Einschränkung und Bedrohung ihrer Freiheit wahrnehmen – schon wenn diese Maßnahmen nur diskutiert werden. Nicht so lange heiß duschen, einmal in der Woche kein Fleisch essen, mal auf das Auto verzichten… Das wird als Gängelung und auch als Zumutung empfunden. Warum eigentlich? Macht das wirklich unsere Lebensqualität aus, jederzeit alles unbegrenzt zur Verfügung zu haben?
Unser Glück wird bestimmt von netten Menschen, von Familie und Freunden, von einem Leben in der Gemeinschaft – ob dann auf dem Grill Würstchen oder Gemüse liegen, ist nicht entscheidend. Die Generation, die den zweiten Weltkrieg und seine Auswirkungen in der Zeit danach noch direkt miterlebt hat, weiß das. Energie zu sparen ist keine Einschränkung, sondern ein Privileg in unseren gut ausgestatteten Wohnungen – und in den Zeiten knapper Ressourcen und hoher Preise ein Zeichen von Klugheit.
Im Beitrag genannte Veröffentlichungen:
Dennis Meadows, Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1972 mit Updates aus 1992 und 2020.
Volker Hauff (Hrsg.), Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, Eggenkamp, Greven 1987.
Nach einem Philosophiestudium befasste sich Wegner in ihrer Promotion mit Nachhaltigkeitsstrategien in Unternehmen. Von 2005 bis 2009 war sie Geschäftsführerin des Zentrums für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Freiburg. Seit 2009 bekleidet sie an der Hochschule München eine Professur (Lehrgebiet: Organisation von Zukunftsdiskursen) und berät Ministerien, Kommunen und verschiedenen zivilgesellschaftliche Organisationen. Seit 2014 ist Wegner Aktionärin unseres gemeinnützigen Unternehmens.