Pflegestift und Wohnstift unter einem Dach ermöglicht Nähe und Distanz. – Ein Beitrag von Sieglinde Hankele.
„Weißt du noch …?“ – Mit diesem Satz beginnt so manches Gespräch von hochbetagten Paaren, die Erinnerungen austauschen. Solche Gespräche sind Rosemarie Grimm nicht mehr möglich. Auch Heinz Döbler nicht. Weil sich ihre Partner nicht mehr erinnern können, in ihrer eigenen Welt leben. Das tut weh. Immer noch und immer wieder. Doch beide haben inzwischen gelernt, damit umzugehen, sind froh, dass im Albstift so liebevoll gepflegt wird und Besuche auf kurzem Weg möglich sind, seit sie selbst im Wohnstift leben, unter dem gleichen Dach wie ihre Partner – wenn auch in unterschiedlichen Bereichen. Der Druck, sich rund um die Uhr kümmern zu müssen, ist weg. Nähe ist dennoch möglich. So kann jeder seine innere Ruhe finden. Und Rosemarie Grimm als auch Heinz Döbler können sich wieder „normalem“ Leben zuwenden, Ausflüge oder sogar Urlaub machen, Freundschaften und Hobbys pflegen, unbeschwerte Stunden verbringen, sogar Neues erleben. Die Phase, in der sie erkennen mussten, dass sie die Betreuung und Pflege zu Hause nicht mehr stemmen können, war schwer genug.
Rosemarie Grimm hat ihren Mann Günther beim Medizinstudium in Tübingen kennen- und lieben gelernt, sie wurden ein Ehepaar. Um die drei Kinder kümmerte vor allem sie sich. Als der Mann 1970 in Aalen eine gynäkologische Praxis eröffnete, übernahm sie dort administrative Aufgaben. Den Facharzt hatte nur er gemacht. Er ist im Kreis Vaihingen-Enz geboren, sei ein „Urschwabe“, habe auch in der Praxis Mundart gesprochen und so das Vertrauen der Patientinnen genossen. Die Praxis ist längst Geschichte. Seit Mitte 2019 lebt der Mann im Wohnbereich Pflege des Albstifts, seine Frau bezog wenige Monate später eine hübsche 2-Zimmer-Wohnung im Albstift. Rosemarie Grimm ist bei vielen Mitbewohnern so angesehen, dass sie auf Anhieb in den Stiftsbeirat gewählt wurde. „Der größte Lichtblick für mich ist die gute Atmosphäre im Haus“, sagt sie. Das sei unendlich viel wert. Dass sie nun auch kurzentschlossen mit dem Auto zu Freunden nach Essingen fahren kann, schätzt die 85-Jährige sehr. Sogar über Inlandsreisen denkt sie nach. Gespräche kann sie mit ihrem Mann zwar nicht mehr führen, doch ein Lächeln kann sie ihm jederzeit entlocken. Die tiefe Vertrautheit ist deutlich zu spüren.
„Meine Elfriede war eine tüchtige Frau“, sagt Heinz Döbler und wischt sich die Augen. Sie ist ein halbes Jahrhundert lang durch Dick und Dünn mit ihm gegangen. Behutsam legt er seine linke Hand auf ihre rechte. Er ist sich sicher, dass sie es spürt, besucht sie täglich etwa zwei Stunden, spricht mit ihr, obwohl sie nur noch selten die Augen öffnet und sich nicht mehr artikulieren kann. Eigentlich wollten sie im Ruhestand die Früchte ihrer Arbeit gemeinsam ernten. Wie gut, dass sie nicht alles auf später verschoben, sondern ein schönes Leben geführt haben. Das schöne Leben fiel ihnen nicht in den Schoß, sie haben es sich gemeinsam erarbeitet. Nach der Flucht aus der DDR und einer Station in Hessen fanden sie auf der Ostalb eine neue Heimat. Ende der 60er Jahre besuchte der Kachelofenbauer die Meisterschule, machte sich selbstständig. Zuletzt hat Heinz Döbler fünf Gesellen und drei Lehrlinge beschäftigt. Mit ihrem Lebensort Fachsenfeld haben sie sich eng verwoben, insbesondere durch aktives Vereinsleben. Doch sein Lebensmittelpunkt ist schon seit sechs Jahren das Albstift. Hier hat er den Stiftschor mitgegründet. Die weitläufigen Spazierwege, die vom Albstift ausgehen, nutzt der 86-Jährige fast täglich. Unterhaltung findet er beispielsweise beim Mittagessen im Stiftsrestaurant. Natur und Gespräche tun ihm gut.