Eine Geschichte von Wolfgang Schilhaneck.
Wir schrieben das Jahr 1992. Nach über 40 Jahren hauptberuflicher Tätigkeit als Sportjournalist flatterte mir im Oktober mein erster Rentenbescheid ins Haus. Endgültig vorbei waren damit schöne Reisen zu olympischen Spielen und Dienstfahrten von Warnemünde bis zum Fichtelberg.
Aber noch war die Zeit nicht gekommen, um die Feder endgültig aus der Hand zu legen. Es gab noch viel zu tun, um sich auf lokaler Ebene noch viele Jahre nützlich zu machen und kleinere Brötchen zu backen. So lenkte ich meine Schritte auch fünf Jahre lang in die Fritz-Wildung-Straße, um für die Nachrichtenagentur DPA und die Tageszeitung „Die Welt“ über die traditionellen internationalen Eisspeedway-Rennen im Wilmersdorfer Eisstadion zu berichten. Eine recht frostige Angelegenheit, von der ich mich dann auch wieder verabschiedete.
Als ich zum letzten Mal eine Meldung über die Dauererfolge der Russen aus dem fernen Ural bzw. der Wikinger aus dem hohen Norden Schwedens abgesetzt hatte, war mir klar, dass ich als Lichtenberger im großen Berlin nie mehr meine Füße in den Hohenzollernpark setzen würde.
Doch dann kam alles ganz anders. Da sollte ich mich aber mächtig geirrt haben. Denn genau 25 Jahre später machte ich erneut mit der Fritz-Wildung-Straße Bekanntschaft. Nicht, um noch einmal das Eisstadion zu besuchen, sondern um in die Seniorenresidenz KWA einzuziehen. Soweit die eine Geschichte.
Die andere liest sich so: Am 11. Dezember 2016 wurde meine Frau Ilona bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Nach mehreren Operationen und Krankenhausaufenthalt war für uns klar, dass es ein Zurück in unsere im 4. Stockwerk gelegene Wohnung ohne Fahrstuhl am U-Bahnhof Friedrichsfelde nicht werde geben können. Wohin nun mit uns? Da stand uns der Zufall, oder sagen wir auch, ein Glücksfall zur Seite. Denn seiner Zeit war unsere Tochter Monika Belowski Direktorin dieser Einrichtung und nahm uns vorübergehend in diese auf. Natürlich mit der Perspektive, eines Tages wieder in unseren Kiez rund um den Tierpark zurückzukehren. Vier Jahre sind es nun schon wieder her, seit wir von Wohnung 209 aus den Frühling begrüßen. Unsere Kinder und gute Freunde hatten uns nämlich davon überzeugt, aus Alters- und gesundheitlichen Gründen unsere Zelte doch für immer in der Residenz aufzuschlagen. Das geschah dann auch im Juni 2017, und wir mieteten eine Wohnung.
Nun sind wir umgeben von netten Nachbarn, fleißigen Mitarbeitern aus vielen Bereichen und von einer Vielfalt an Möglichkeiten, am gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leben teilzunehmen. Wir haben unsere damalige Entscheidung zwar schweren Herzens gefasst, aber bis heute nicht bereut. Wir fühlen uns einfach wohl. Auch wenn manchmal gemeckert wird, aber das gehört zum Wesensmerkmal eines 90-jährigen Urberliners. Einmal im Jahr allerdings holt mich die Vergangenheit ein. Dann nämlich, wenn an einem März-Wochenende die Eisspeedway-Elite wieder in Berlin weilt und wenige Meter entfernt die Motoren aufheulen. Der Geräuschpegel dringt dann auch in meine noch gut funktionierenden Gehörgänge. Ein wenig Nostalgie muss im hohen Alter auch sein.
Natürlich bestimmen auch Regeln sportliche Wettkämpfe. Nach solchen wird auch in diesen Wochen unser Leben bestimmt. Das heißt zum Beispiel, zwei Personen auch nur im Fahrstuhl. Eines Tages wird dann sicherlich die Freiheit wieder (fast) grenzenlos sein, wie es bei Reinhard Mey heißt.
Copyright: Wolfgang Schihaneck