Ein Rückblick auf die erste Phase der Corona-Krise im Münchner KWA Pflegestift. – Ein Beitrag von Stefan Linke.
Für diesen Bericht ist es mir als Hausleiter wichtig, Zahlen, Fakten und Herausforderungen zu benennen: sodass Sie ab der ersten Zeile ahnen können, wie intensiv wir uns mit dem neuartigen Coronavirus auseinandersetzen mussten und müssen.
In unserem Pflegestift hatten wir von März bis Mai dieses Jahres 16 Verstorbene, davon waren acht Bewohner mit Covid-19 infiziert. Alle an, beziehungsweise mit Covid-19 Verstorbenen waren chronisch krank und hochbetagt. Nichtsdestotrotz waren wir und auch die Angehörigen betrübt über jede einzelne Infektion und die damit verbundene Verkürzung der Lebenszeit.
Emotional sehr schwierig war die Tatsache, dass sich eine langjährige Mitarbeiterin, sehr wahrscheinlich während ihres Dienstes, mit Covid-19 infiziert hat – noch ehe uns eine Infektion bei einem Bewohner bekannt war. Wir freuen uns darüber, dass diese und eine weitere Kollegin die schweren Krankheitsverläufe nach längeren Krankenhausaufenthalten überstanden haben.
Noch zwei weitere Zahlen: 15 mit Covid-19 infizierte Bewohner sind erfreulicherweise genesen. Das trifft auch auf die 14 infizierten Mitarbeiter sind zu. Im Moment sind im Pflegestift keine Personen infiziert. Daher ist Zeit, ein wenig innezuhalten und die Erfahrungen zu reflektieren.
Ich bin mir sicher, dass es die richtige Entscheidung war, bereits vor der staatlichen Anordnung ab dem 13. März keine Besucher mehr ins Haus zu lassen. Man muss beim Auftreten einer Covid-19-Infektion schnell reagieren. Und wir waren schnell.
Enorm wichtig war eine klare und stringente Kommunikation mit allen relevanten Personen: Mitarbeitern, Betroffenen, Angehörigen, Ärzten und Behörden. Neun Wochen lang haben wir jeden Tag eine Corona-Tagesinfo für die Mitarbeiter abgefasst, sodass wirklich alle Mitarbeiter sämtliche notwendigen Infos hatten. Das waren bei Bedarf auch mal drei DIN-A4-Seiten, schließlich gab es in hoher Taktzahl neue behördliche Anordnungen und Schreiben, auf die wir zu reagieren hatten. Neben einem zweimal täglich stattfindenden Meeting zur Abstimmung waren wir mehrmals wöchentlich telefonisch in Kontakt mit dem für uns zuständigen Gesundheitsamt, dem Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU). Man darf nicht vergessen, dass wir in München zu den ersten Häusern gehört haben, die betroffen waren.
Hygiene war und ist im Fall von Viren ein zentrales Thema. Auch diejenigen Mitarbeiter, die nicht in der direkten Pflege arbeiten, haben wir von Anfang an einbezogen und für das Hygienethema sensibilisiert. Obwohl in einer akuten Phase eigentlich keine Zeit dafür ist, wurde das korrekte Anlegen einer Schutzausrüstung geübt. Nur dann kann sie wirklich schützen. Hygienestandards und Flächendesinfektionen wurden ohne Wenn und Aber umgesetzt.
Von großem Wert war und ist die Um- und Weitsicht unserer Pflegedienstleiterin Tina Mohr. Sie hat sich über jedes einzelne Detail Gedanken gemacht und alles Zielführende realisiert: zum Schutz von Bewohnern und Mitarbeitern.
Von Demenz betroffene Bewohner mit einem ausgeprägten Bewegungsdrang bereiteten uns große Sorgen. Wie konnten wir sie schützen ohne andere zu gefährden? Doch in Abstimmung mit dem für uns zuständigen Gesundheitsamt fanden wir eine adäquate Lösung: Infizierte Bewohner zogen für einen befristeten Zeitraum in das Erdgeschoss um. Hier war eine räumliche Trennung zum weiteren Erdgeschossbereich möglich. Zusätzlich hatten die Betroffenen dadurch die Möglichkeit, sich in einem abgegrenzten Gartenbereich bewegen zu können. Bewegung ist für diesen Personenkreis überaus wichtig. So konnten zu erwartende Frustrationen vermieden werden.
Die Schaffung einer sogenannten „Kohorte“ ist angezeigt, wenn sich Infektionsgeschehen häufen und an verschiedenen Orten auftreten. Das Ziel ist die Eindämmung der weiteren Verbreitung des Virus. Zudem erleichtert die räumliche Zusammenführung von Infizierten die Arbeitsabläufe für Mitarbeiter. Gleichzeitig ermöglicht diese Maßnahme einen Ressourcen schonenden Einsatz der persönlichen Schutzausrüstungen. Darüber hinaus kann dadurch ein Wechsel der Mitarbeiter auf ein Minimum reduziert werden. Wenn wir den Isolierbereich nicht gebildet hätten, wären wir schnell an die Grenzen der Belastbarkeit gestoßen.
Wie befürchtet, zeigten einige nicht mit Covid-19 infizierte Bewohner kein Verständnis für die Kohortenbildung in ihrem Wohnbereich und lehnten trotz umfänglicher Beratung und Aufklärung einen Umzug in andere Stockwerke ab. Wir haben die Entscheidung respektiert und akzeptiert. Um uns rechtlich abzusichern, ließen wir uns diese Entscheidung jedoch schriftlich bestätigen.
Die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem RGU war über weite Strecken gut. Vor allem, weil während der ganzen Zeit eine feste Ansprechpartnerin zur Verfügung stand. Das sogenannte „Drive through“ zur Testung von Mitarbeitern wurde von uns nach einem festen Schema terminiert. Voraussetzung war, dass die Mitarbeiter mit einem KFZ kommen konnten. Die Testung erfolgte am Auto. Großes Glück hatten wir mit zwei Hausärzten. Sie waren von Anfang dazu bereit, Bewohner auf Covid-19 zu testen, auch drei- oder viermal, sofern es angezeigt war. Sie haben parallel auch Testungen bei Mitarbeitern durchgeführt. Die Testergebnisse lagen binnen 24 Stunden vor. Eine sehr gute Voraussetzung, um bei positiven Testergebnissen schnell handeln zu können, was die Isolation der infizierten Bewohner und die häusliche Quarantäne der betroffenen Mitarbeiter anbelangte.
Aufgrund unserer ethischen Grundsätze war es für uns selbstverständlich, dass Sterbende trotz der akuten Phase der Pandemie von deren Angehörigen begleitet werden konnten.
Für die Zeit des Abschiednehmens durften die Angehörigen unter Einhaltung der Schutz- und Hygienebestimmungen in die Wohnbereiche. Den Angehörigen wurden sogenannte FFP2-Masken und Schutzkleidung zur Verfügung gestellt. Eine seelsorgerische Begleitung war ebenfalls möglich.
Was uns die Arbeit erheblich erschwert hat, war die kurzfristig bekanntgegebene Lockerung der Besuchsregelung in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen zum Muttertag.
Gleichzeitig wurde den Einrichtungen auferlegt, ein Schutz- und Hygienekonzept zu entwickeln und vorzulegen. Zwischen der staatlichen Bekanntgabe und dem Muttertag lagen fünf Tage. Zusätzlich zum ohnehin schon enormen Arbeitsaufkommen, welches ein Infektionsgeschehen mit sich bringt, waren die Mitarbeiter erneut erheblich belastet. Um dem zu erwartenden Besucherandrang gerecht werden zu können, mussten wiederum Überstunden gemacht werden.
Gleichermaßen irritiert waren wir von einem unangekündigten Kontrollbesuch in der Woche vor Pfingsten durch eine Gruppe von fünf Personen, die sich aus Vertretern des Gesundheitsamtes, der Heimaufsicht und der Feuerwehr zusammensetzte.
Überprüft wurde unter anderem die Einhaltung der Infektionshygiene. Die Feuerwehr führte eine Begehung im Rahmen des Brandschutzes durch und die Vertreter der Heimaufsicht überprüften beispielsweise die Dienstpläne. Trotz Besuchs- und Betretungsverbot und trotz des Aussetzens von Prüfungen durch ministerielle Anordnung fand dieser „Besuch“ statt. Da wir jedoch nichts zu verbergen haben, haben wir dem Betreten des Hauses und der Prüfung zugestimmt.
Gut durch die Zeit kamen wir durch einige positive Rückmeldungen, die sich unter anderem auf unsere transparente Kommunikation und die konsequenten Schutzmaßnahmen bezogen. Die Angehörigen wurden wiederholt mit ausführlichen Informationsschreiben auf dem Laufenden gehalten.
Für eine große Zahl von Bewohnern war es eine große Freude, dass wir im Stiftsgarten einen Ostergottesdienst abhalten konnten. Der Ostersegen ist vielen Menschen in Pflegeeinrichtungen immer noch wichtig. Auch regelmäßige kleine Gartenkonzerte kamen bei Bewohnern und Mitarbeitern sehr gut an. Ein überraschendes Geschenk eines Asia-Restaurants in Form von Sushi für unsere Mitarbeiter war eines der positiven Signale, die man in solchen Zeiten unbedingt braucht. Dazu zählen auch der Pflegebonus und die Mitarbeiterverpflegung durch den Freistaat Bayern bis zum 31. Mai.
An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, mich noch einmal bei allen engagierten Mitarbeitern für ihren Einsatz für die Bewohner im Luise-Kiesselbach-Haus zu bedanken. Man darf nicht vergessen, dass auch Mitarbeiter zum Teil erheblich verunsichert waren. Neben dem Risiko einer eigenen Infektion waren Themen wie fehlende Kinderbetreuung und finanzielle Sorgen – beispielsweise aufgrund von Kurzarbeit in der Familie – von existentieller Bedeutung.
Obwohl in einer akuten Phase eigentlich keine Zeit dafür ist, wurde das korrekte Anlegen einer Schutzausrüstung geübt. Nur dann kann sie wirklich schützen. Hygienestandards und Flächendesinfektionen wurden ohne Wenn und Aber umgesetzt.
Stefan Linke
Aufgrund unserer ethischen Grundsätze war es für uns selbstverständlich, dass Sterbende trotz der akuten Phase der Pandemie von deren Angehörigen begleitet werden konnten.
Stefan Linke