Von Sieglinde Hankele.
Informationen aus erster Hand zu aktuellen gesundheits- und pflegepolitischen Themen gab es vom Bayerischen Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath. Der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Pflege im Bayerischen Landtag warf am Vorabend der diesjährigen KWA Hauptversammlung – Mitte Juni – für andere KWA Aktionäre und Alternovum Schlaglichter darauf. Seidenath gehört zum Kreis der KWA-Aktionäre.
Seine Ausschussarbeit im Landtag betrachtet Seidenath als „parteineutrale Aufgabe“. Im Terminkalender des Ausschusses stehe gerade eine Anhörung zum Thema, wie man mit seltenen Erkrankungen umgehen kann. Ab Oktober müssen sich in Bayern beispielsweise erwachsene Mukoviszidose-Patienten im Krankenhaus in Kinderabteilungen behandeln lassen, mangels entsprechender Behandlungs-angebote für Erwachsene. Das ist aus Sicht des CSU-Abgeordneten mit der Menschenwürde nicht immer vereinbar. Da brauche es eine andere Lösung.
Eine andere Anhörung werde es im Oktober zum Thema Impfpflicht geben, die Jens Spahn ja einführen möchte, um die Impfraten zu erhöhen. Da komme es laut Seidenath auf die Ausgestaltung an. „An Orten, wo die Impfraten in Bayern am niedrigsten sind, nämlich am Starnberger See, werden Geldstrafen in Höhe von einigen tausend Euro nicht zum Ziel führen“, denkt Seidenath. Bisher sei man der Meinung gewesen, dass gute Aufklärung am besten wirkt und zur Einsicht führt, dass man nicht zu Lasten anderer auf Impfen verzichten kann. Doch man wolle sich dazu im Ausschuss Experten anhören.
Als weiteres großes Thema benannte der Vortragende den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, in vielen Berufen, auch bei den Ärzten. Diesbezüglich werden in Bayern 2.100 zusätzliche Studienplätze geschaffen – 1500 in Augsburg und 600 in Bayreuth. Zudem werde eine Landarztquote eingeführt, sodass unterversorgte Gebiete in Unter- und Oberfranken sowie in der Oberpfalz künftig besser versorgt werden. Die Niederlassung als Landarzt in kleineren Kommunen werde mit 60.000 Euro gefördert. Zudem gebe es innovative Praxiskonzepte, beispielsweise mit besonderer Frauenförderung, insbesondere mit Blick auf junge Mütter, die als Ärztin arbeiten wollen.
Einen weiteren Mangel gebe es bei Hebammen. Doch das Problem sei hausgemacht. Es werden viel zu wenige ausgebildet. Derzeit gebe es in Bayern nur sieben Fachschulen, die jeweils 15 Personen ausbilden – obwohl es je Schule ca. 300 Bewerbungen gibt. Bei Hebammen werde gerade auf eine akademische Ausbildung umgestellt und genügend Plätze zur Verfügung gestellt. Das bringe hoffentlich die notwendige Verbesserung. Auch bei Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Diätassistenten und anderen Gesundheitsberufen gebe es zu wenig Nachwuchs. Den großen Durchbruch erhofft man sich in Bayern von der bereits beschlossenen Schulgeldfreiheit.
Einen Beitrag zur Eindämmung des Fachkräftemangels – auch in der Pflege – kann, so Seidenath, vermehrte Digitalisierung leisten, da Innovationsschübe damit verbunden sind. Das sei im Autmobilbau gut zu beobachten, zeige sich im selbstfahrenden Auto. In der Medizin könne die Digitalisierung die Diagnostik erleichtern, die Dokumentation vereinfachen und Therapien verbessern. Damit Krankenhäuser entsprechende Investitionen tätigen können, müsse laut Seidenath ein Sonderprogramm aufgelegt werden, in das auch Bundesmittel fließen. Bayern stecke jährlich 640 Millionen Euro in sein Krankenhausbauprogramm. Investitionskosten sollen weiterhin vom Land gedeckt sein, Betriebskosten durch die Krankenkassen.
Ein anderes von Seidenath beleuchtetes Thema: Im Moment ist Krebs die zweithäufigste Todesursache nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Was vielen nicht bewusst sei: In fünfundzwanzig Jahren werden entzündliche Krankheiten, die durch multiresistente Keime verursacht werden, die zweite Stelle bei den Todesursachen einnehmen. Schon jetzt müsse man Antibiotikaresistenzen gegensteuern. Die Pharmaindustrie lege in diesem Bereich keine neuen Medikamente auf, weil damit nichts zu verdienen sei. Die Phagenforschung müsse man beobachten. Noch ist offen, ob sie bei der Bekämpfung von Entzündungen künftig Antibiotika möglicherweise ersetzen können.
Seidenath erachtet es als wichtig, dass ein Teil der Antibiotikaproduktion wieder ins Inland verlagert wird. Derzeit wird kein einziges Antibiotikum in Deutschland produziert. Wenn nur noch in Indien produziert wird – derzeit zu 90 Prozent – stelle das ein Sicherheitsrisiko dar, weil man ja völlig von Einfuhren abhängig ist. Außerdem sieht Seidenath auch die Umweltstandards an den derzeitigen Produktionsstätten als Problem, weil beispielsweise dort in Flüssen resistent gewordene Bakterien über die Tourismuskette wieder zu uns gelangen.
Thema Pflege. Derzeit wird das Pflegestärkungsgesetz III umgesetzt. In Bayern gibt es momentan gerade einmal neun Pflegestützpunkte – als neutrale Anlaufstellen, bei denen sich jedermann über ambulante und stationäre Pflege beraten lassen kann. „Unser Ziel ist, dass es möglichst in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt einen gibt“, sagt Seidenath. Angesichts von 71 Landkreisen und 25 kreisfreien Städten bräuchte man fast 90 weitere Stützpunkte. 50 weitere sollen es zumindest sein. Jeder neue Pflegestützpunkt werde vom Land mit 20.000 Euro gefördert. Das sei immerhin ein kleiner Anreiz. Bisher war es so geregelt, dass die Kosten für einen Pflegestützpunkt zur Hälfte von der Kommune, zur Hälfte von Pflege- und Krankenkassen zu tragen waren. Das wurde geändert: Auf die Kommune fällt nur noch ein Drittel, wobei dieses Drittel zu gleichen Teilen von Bezirk und Landkreis zu tragen ist.
Als „abendfüllendes Schmankerl“ kündigte Seidenath die Beantwortung der Frage an, wie man dem Pflegekräftemangel beikommen kann. „Dieses Thema ist drängender als der Klimanotstand“, so Seidenath, „weil wir da auch mehr machen können und weil er auch früher da ist.“ O-Ton Seidenath: „Wir laufen wirklich auf eine humanitäre Katastrophe zu.“ Das sei ein rasender ICE, der auf eine Felswand zusteuere, „wenn die Babyboomer die Seite wechseln und vielleicht selbst pflegebedürftig werden“. Es sei zwar schon viel gemacht worden von der Politik. Doch man müsse an vielen Stellschrauben ansetzen. An erster Stelle nannte Seidenath dazu die Bezahlung – obwohl sie gar nicht so schlecht sei, wie viele annehmen.
Seidenath denkt, dass allgemeinverbindliche Tarifverträge eine Lösung darstellen könnten. In punkto Bürokratieabbau sei schon einiges passiert. Und den Pflegenden sei eine stärkere Bedeutung zugewiesen, durch die Vereinigung der Pflegenden in Bayern in Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, „sodass Pflegende jetzt mit Ärzten, Apothekern und Zahnärzten auf Augenhöhe sind“, sagt Seidenath. Das Entscheidende werde jedoch die Besetzung der offenen Stellen sein, damit die Belastung für die derzeitigen Pflegekräfte verringert werden kann – und sie nicht auch noch den Beruf aufgeben. Diese Abwärtsspirale müsse durchbrochen werden. Das Ministerium unterstützt die Branche mit einer „Herzwerker“-Kampagne. In der ersten Runde richtete sie sich an Berufsanfänger. „Herzwerker 2“ adressiert auch Berufsrückkehrer und Quereinsteiger. Pflege ist sinnstiftend. Darüber könne man neue Mitarbeiter gewinnen.
Seidenath nannte noch zwei weitere Punkte, die zur Verbesserung der Situation beitragen könnten. Der erste Punkt: Ältere Mitarbeiter empfinden Nachtdienst oft als belastend. Jungen Menschen falle Nachtdienst in der Regel leichter, zudem sind sie mit ihrer Freizeit relativ flexibel. Daher sollten monetäre Anreize für Nachtdienst geschaffen werden, sodass künftig vor allem die jüngeren Pflegekräfte die Nachtdienste übernehmen. Gleichzeitig würden ältere Mitarbeiter dadurch entlastet und könnten so hoffentlich ihr ganzes Berufsleben lang in der Pflege arbeiten. Der zweite Punkt: Eine Verringerung der Fehlzeiten. Im Schnitt sind Arbeitnehmer in Deutschland an 16 Tagen im Jahr krank, in der Altenpflege liegt der Wert hingegen bei 24. Wenn es gelänge, die Fehlzeiten in der Altenpflege auf den Durchschnittswert zu senken, gewönne man dadurch ein Äquivalent von 16.000 Stellen. Da ist nach Einschätzung von Bernhard Seidenath durch betriebliches Gesundheitsmanagement, durch eine effektive „Pflege der Pflegenden“, einiges zu bewegen.
Der 1968 in Erlangen geborene und aufgewachsene Bernhard Seidenath hat nach einem Studium der Rechtswissenschaften und Praktika bei den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages in Bonn sowie bei der Vertretung des Freistaates Bayern in Brüssel u. a. an der Deutschen Botschaft in Ottawa gearbeitet. Seit 1989 ist er Mitglied der CSU. Seine politische Karriere startete er als stv. Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes Erlangen-Süd. Seit dem Herbst 2008 ist Seidenath Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Dachau, seit April 2011 Vorsitzender des CSU-Kreisverbandes Dachau. Heute ist er zudem Mitglied des CSU-Bezirksvorstands Oberbayern. Seit Nov. 2018 ist Seidenath Vorsitzender des Landtags-Ausschusses Gesundheit und Pflege. Ausführliche Biografie auf der Website des Landtags.
Digitalisierung erleichtert Diagnostik, vereinfacht Dokumentation, verbessert Therapien
Bernhard Seidenath
Pflege ist sinnstiftend. In keinem anderen Beruf ist man näher am Menschen dran
Bernhard Seidenath