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Heinz Rudolf Kunze –  Foto: Simon Stöckl
alternovum Ausgabe 3/2021

Heinz Rudolf Kunze: "Auch du taugst zum Held"

KWA EXKLUSIV-INTERVIEW – von Sieglinde Hankele.

Hannover/München, 06. Dezember 2021

Herr Kunze, Sie stehen seit 40 Jahren auf deutschen Bühnen. Die Jubiläums-Tournee mit Ihrer Band mussten Sie aufgrund der Corona-Restriktionen schon drei Mal verschieben, ist nun für 2022 neu terminiert. Immerhin konnten Sie im Herbst 2021 das Best-of-Doppelalbum „Werdegang“ herausbringen. Was daran ist besonders? 

Dieses Best-of-Album ist meines Wissens etwas in Deutschland noch nie Dagewesenes. Wir haben 24 Titel aus den vergangenen Jahrzehnten komplett neu eingespielt, und zwar mit fünf verschiedenen Produktionsteams, darunter blutjunge Leute, die meine Kinder sein könnten, aber durchaus schon erfolgreich sind. Sie haben sich die Stücke mit dem Blick von heute vorgenommen. So kamen radikal andere Versionen heraus als die Originale. Ich bin begeistert vom Resultat. Einige Versionen sind viel besser als die Originale. Was ebenfalls besonders ist: Im Vorfeld haben wir Fans befragt, welche Titel in dieses Album sollen. Die Top 12 der benannten Lieder haben wir aufgenommen. Die Titel für die zweite CD habe ich selbst gewählt. Das sind Titel, die mir besonders wichtig sind. 

Ebenfalls jetzt im Herbst ist Ihre Autobiografie erschienen, unter dem gleichen Namen wie das Album. Was steckt im Buch „Werdegang“? 

Die Autobiografie ist in Zusammenarbeit mit meinem Freund Oliver Kobold entstanden. Er ist ein exzellenter Kulturjournalist. Er war nicht nur ein Korrektiv, sondern hat durch seine Fragen viel aus mir herausgeholt. Ursprünglich dachte ich, dass ich ein langweiliges Leben hatte. Schließlich habe ich kein Sex-and-Drugs-and-Rock’n’Roll-Leben wie Keith Richards geführt. Doch wenn man jetzt meine Familiengeschichte liest, ist sie doch interessant. Einiges gebe ich zum ersten Mal preis. Und dann hab‘ ich ja in den 40 Jahren als Musiker sehr viele berühmte Menschen kennengelernt. Da gibt es schon einen reichhaltigen Anekdotenfundus, aus dem ich schöpfen konnte. Das Buch ist bunter geworden, als ich mir vorstellen konnte. Es lässt sich wie ein Roman lesen. 

Seit Juli 2021 gibt es online die Podcastreihe: „Kunze über Kunze – der Heinz im Selbstverhör“. In jeder Folge ordnen Sie ein anderes Album ein, erzählen etwas über die Entstehungsgeschichte, Beteiligte, Freundschaften, Enttäuschungen, Erfolge. Mit welcher Intention? 

Mit diesen Podcasts möchte ich Appetit machen auf meine Autobiographie. Doch man kann das auch als Ergänzung zum Buch sehen, quasi als mündliche Fußnoten. In den Podcasts kommen auch Aspekte zur Sprache, die im Buch gar nicht drin sind. Möglicherweise finden sich dabei auch Widersprüche. Doch dazu kann ich nur sagen: Das Leben ist widersprüchlich. 

Sie sind unglaublich produktiv. Manchmal schreiben Sie über 400 Texte im Jahr. Was bringt Sie Tag für Tag zum Schreiben und zum Komponieren? 

Da die Welt voller spannender, trauriger, lustiger, verrückter, grotesker Geschehnisse ist, kommen die Themen wie von allein zu mir. Sie fliegen an mir vorbei und ich fange sie auf. Ich bin eine Art Antenne. Und dann brauche ich möglichst schnell einen Stift und Papier. Die Texte sind dann auch relativ schnell geschrieben. Im Nachhinein gibt es höchstens noch eine Wortänderung, wenn sich beispielsweise herausstellt, dass sich etwas schlecht singen lässt. 

Singersongwriter mit literarischem Anspruch schreiben in der Regel zunächst Texte, so wie Sie es eben beschrieben haben. Die Musik richtet sich dann nach dem Inhalt, nimmt die Rhythmik und die Metren des Textes auf. Oft komponieren Sie selbst. Warum nicht alle Stücke? 

Die Mehrheit meiner Lieder habe ich selbst komponiert. Doch ich habe immer viel zu tun. Deshalb überlasse ich hin und wieder gerne einen Text einem Mitglied meiner Band. Sie alle komponieren ja auch. Und ich kann nach jahrelanger Zusammenarbeit gut abschätzen, wem welcher Text liegen könnte. Mein langjähriger Gitarrist und musikalischer Partner Heiner Lürig hatte ein gutes Händchen für Hits. Das nicht zu nutzen, wäre dumm gewesen. Meine Kompositionen sind zum Teil relativ komplex, nicht alle radiotauglich.

Bei „Dein ist mein ganzes Herz“ hatten Sie im Vorfeld gewisse Bedenken, weil Sie bis dahin ausschließlich für zeitkritische Texte bekannt waren. Doch mit diesem Titel kam 1985 der eigentliche Durchbruch, ihre Fangemeinde wurde größer und bunter. 

Ich hatte nie etwas gegen Hits. Wenn man ein größeres Publikum erreichen und abseits der Schlager-Einheitssoße auch in den Medien Beachtung finden möchte, muss man Kompromisse eingehen und auf den Mehrheitsgeschmack ein Stück weit zugehen. Wenn das Publikum dann an den Hits Spaß hat, macht mich das aus professioneller Sicht durchaus stolz – auch wenn mir andere Lieder mehr bedeuten.

Was möchten Sie mit dem Lied „Ich bin so müde“, das 2020 erschienen ist, zum Ausdruck bringen? 

Nicht alles, was ein Musiker schreibt, vertont und singt, ist ein Ausfluss seines Tagebuchs. Der Text könnte auch von einem Wiener Grantler stammen. Ich treffe häufig Menschen, die eine gewisse Larmoyanz oder Weltmüdigkeit pflegen. Da will ich mich auch gar nicht ausschließen. Bisweilen mag man keine Tagesschau anschalten, weil man einfach kein Elend mehr sehen kann. Keine Bilderflut aus Terror, Katastrophen und Schrecken. Diese Weltmüdigkeit ist sehr verbreitet um mich herum, nicht nur bei den über 60-Jährigen. Daher der Titel. – Aber alles in allem ist das Lied ja eher zum Schmunzeln. Die flotte Musik im Stil eines Country-Rock von Neil Young ist ein augenzwinkernder Konterkommentar zum Text. 

Sind Sie manchmal wirklich „Völlig verzweifelt vor Glück“, wie es in einem anderen Lied heißt? 

Ich begebe mich mit meinen Liedern in Rollen. In diesem Fall geht es um einen Zustand, den viele Menschen kennen, die künstlerisch tätig sind. Wenn sie Beifall kommen und das Gefühl haben, die Klatschenden verstehen gar nicht, wofür sie jetzt klatschen. Oder wenn Menschen an einer falschen Stelle klatschen. Oder wenn der Beifall von der falschen Seite kommt. Manchmal wird auch etwas missverstanden, die wahre Subtilität gar nicht entdeckt.

Schon immer haben Sie sich mit dem Zeitgeschehen auseinandergesetzt. Als erst wenige ahnten, was Corona uns abverlangen würde, im Frühjahr 2020, schrieben Sie das Lied „Zusammen“, appellierten damit an den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Im Lied heißt es unter anderem: „Laßt jetzt keinen zurück und allein“ und „ja auch du taugst zum Held und zum Retten der Welt“. Hatten Sie das Gefühl, dass es diese Botschaft braucht?

Dieses Gefühl habe ich immer noch. Ich singe das in allen Solokonzerten, die ich ja Gott sei Dank geben darf. Dabei habe ich gemerkt, dass die Menschen sich das Lied gerne zu eigen machen, weil sie das Gefühl haben, dass sich an der Grundsituation wenig geändert hat. – Ich könnte übrigens mit einer Impfpflicht für alle hervorragend leben. Ich finde es unerträglich, wie diese Querdenker das geistige Klima in unserem Land vergiften und die Menschen davon abhalten sich impfen zu lassen. Das ist unverantwortlich. Und natürlich müssen diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, auch gesellschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Sie können uns Geimpfte und Genesene doch nicht weiterhin die Bürgerrechte vorenthalten. 

Die Liedzeile vom Helden zum Retten der Welt führt direkt zu unserem Titelthema. Auch in Märchen gibt es oft Helden. Figuren, die eine Geschichte zu einem guten Ende bringen. In Ihrem Lied „Komm kleine Fee“ bitten Sie diese darum, drei Wünsche frei zu haben. Was wünschen Sie sich von einer Märchenfee? 

Ganz bescheiden: ewige Jugend, ganz viel Geld, und wahnsinnigen Erfolg. 

Wer hat Ihnen Märchen vorgelesen als Sie klein waren? Und was ist Ihr Lieblingsmärchen? 

Ich komme aus einem traditionellen, kleinbürgerlichen Lehrerhaushalt. Da haben das meine Eltern gemacht. Und das sollten Eltern auch heute noch tun. Das Märchen, das mir als Erstes einfällt, ist ‚Des Kaisers neue Kleider‘. Die Feststellung, dass der Kaiser in Wahrheit nackt ist, macht man doch eigentlich jeden Tag. Bei all den Lügen und Phrasen und Fake News und Propaganda-Sauereien, die einem um die Ohren gehauen werden. Die meisten, die sich aufspielen in der Arena der Macht, sind in Wahrheit ganz erbärmliche, nackige kleine Würstchen. 

Wofür brauchen wir Menschen Feen, Zauberer und Märchen?

Das Leben wäre doch sehr prosaisch und öde, wenn wir diese Zwischenwelt nicht hätten. Für manche sind diese Wesen ja auch eine Art Brücke zum lieben Gott – für diejenigen, die sich einen Gott noch vorstellen können. In meinen Liedern findet sich zwar außer der kleinen Fee nichts zum Thema Märchen. Doch manchmal glaube ich, dass ich selbst ein Zauberer bin. Dass ich eine merkwürdige, ziemlich zauberische Gabe besitze, die Menschen mit meinen Liedern in eine andere Welt zu holen. Dafür bin ich dankbar.

Was dürfen wir von Ihnen in den nächsten Jahren erwarten?

Weiterhin Lieder, Texte und Musik, auch Bücher; und hoffentlich auch wieder Tourneen mit Live-Konzerten mit meiner Band. –  Ein großer Wunsch, den ich vielleicht der Fee hätte nennen sollen: Irgendwann möchte ich Tatort-Kommissar werden. Immerhin war ich schon mal ein Verdächtiger in einer Tatort-Folge. Doch die Rolle eines Tatort-Kommissars reizt mich wirklich sehr.


Zur Website des Künstlers: >> Heinz Rudolf Kunze

Das Leben ist widersprüchlich.

Heinz Rudolf Kunze

Da die Welt voller spannender, trauriger, lustiger, verrückter, grotesker Geschehnisse ist, kommen die Themen wie von allein zu mir. Ich fange sie auf, bin eine Art Antenne.

Heinz Rudolf Kunze

VITA

HEINZ RUDOLF KUNZE wurde 1956 in Ostwestfalen geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik. Seit inzwischen vier Jahrzehnten zählt der wortmächtige Komponist und Sänger zu den festen Größen der deutschsprachigen Rockmusik. Er veröffentlichte u. a. 46 Studioalben, zahlreiche Bücher, aber auch Musicals und Kinderlieder. Der Liedermacher, Rocksänger und Schriftsteller lebt in Hannover. 

Eine Auswahl bedeutender Auszeichnungen:

  • 3 Goldene Stimmgabeln
  • Deutscher Schallplattenpreis der Phone-Akademie
  • Niedersächsischer Staatspreis
  • Fred-Jay Preis der GEMA für Autoren
  • Kunstpreis der Stadt Osnabrück

Ich finde es unerträglich, wie diese Querdenker das geistige Klima in unserem Land vergiften und die Menschen davon abhalten sich impfen zu lassen. Das ist unverantwortlich.

Heinz Rudolf Kunze

Manchmal glaube ich, dass ich eine merkwürdige, ziemlich zauberische Gabe besitze, die Menschen mit meinen Liedern in eine andere Welt zu holen.

Heinz Rudolf Kunze

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