Menu
alternovum Ausgabe 1/2023

Kolumne "Angst vor der Zukunft?"

Von Dr. Harald Parigger.

Amerang, 30. März 2023

„Alte Leute sind gefährlich: Sie haben keine Angst vor der Zukunft“, hat George Bernard Shaw einmal gesagt. So sehr ich diesen genialen Satiriker sonst bewundere, hier irrt er sich. Nicht, dass alte Leute nicht gefährlich sein könnten, oh ja, das können sie, man denke nur an das Unheil, das größenwahnsinnige Greise auf dieser Welt schon angerichtet haben und gerade noch anrichten.

Nein, der zweite Teil des Bonmots weckt meinen Widerspruch; glaube ich doch, dass gerade die Älteren oft mit Angst in die Zukunft blicken. Dabei geht es ihnen weniger um sich selbst, als um ihre Kinder und Enkel, um jüngere Menschen überhaupt, die ihnen lieb geworden sind. 

Auch ich, der ich zu Shaws „alten Leuten“ zähle, denke oft darüber nach: Was wird aus all denen, die, mir ans Herz gewachsen, noch eine lange Lebensspanne vor sich haben? In diesem Sinn habe ich durchaus Angst vor der Zukunft, und zwar, von allen Unwägbarkeiten abgesehen, aus drei Gründen.

Zum Ersten habe ich Angst vor der „Angst“. Vor dem diffusen Unbehagen vieler Menschen gegenüber Fortschritten, nur, weil sie vom Gewohnten abweichen, ein Unbehagen, das sich bis zur hysterischen Ablehnung steigern kann. Ein Beispiel unter vielen ist die Gentechnik, ganz gleich, ob es sich um landwirtschaftliche oder medizinische Verfahren handelt: Bei vielen Menschen verhindert unreflektierte Angst die wissensbasierte Einsicht. Man denke nur an die Impfstoff-Schauermärchen, die weit mehr als medizinischen Schaden angerichtet haben. Wer sollte nicht die Zukunft fürchten, wenn angstgeschürte Verschwörungstheorien ein ganzes Land spalten?

Was mich zweitens ängstigt, ist die alles durchdringende Bürokratie unseres Landes, die seinem gesellschaftlichen Fortschritt oft genug unüberwindliche Sperren in den Weg legt. Lange habe ich zum Beispiel versucht, in meinem Dorf für die Schwächsten eine Verbesserung der Verkehrssituation zu erreichen: für kleine Kinder, Senioren mit Rollatoren, Menschen mit Rollstühlen oder Kinderwägen – breite, klar gekennzeichnete Bürgersteige, optische Hindernisse, gesicherte Überwege, Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ich bin auf einen solchen Wust von Zuständigkeiten, widersprüchlichen Regelungen, Verfahrensvorschriften und Hin- und Her-Geschiebe von Verantwortung gestoßen, dass ich entnervt aufgegeben habe. Wer sollte bei einem so unbeweglichen Staat nicht Angst vor der Zukunft haben? 

Und was mich drittens in Angst versetzt, ist unser mangelnder Gemeinsinn. Gewiss, viele Leute sind bereit, von ihrem finanziellen Überfluss etwas abzugeben. Aber wenn es darum geht, der Allgemeinheit ein Stückchen entgegenzukommen, um den Preis einer Winzigkeit an Belästigung oder Einbuße, werden brave Bürger/innen zu unerbittlichen Verweigerern, bereit, alles zu tun, um zu blockieren, was ihnen nicht passt, sollte es auch noch so sinnvoll sein: Natürlich möchte jeder saubere und preiswerte Energie im Überfluss haben. Aber eine Windkraftanlage in der Nähe? Nicht mit mir! Muss man bei so viel Egozentrik nicht sorgenvoll in die Zukunft blicken?

Wir alle, glaube ich, müssten viel weniger Angst vor der Zukunft haben, wenn wir nur unser ängstliches Zaudern vor dem Fortschritt überwänden, unsere starre Bürokratie beseitigten und unseren hypertrophen Individualismus durch einen pragmatischen Gemeinsinn ersetzten. So einfach wäre das. Und so schwierig.

lesen Sie außerdem

Cookies