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alternovum Ausgabe 1/2021

Kommt 2021 eine weitere Pflegereform?

Eckpunkte des Bundesministeriums für Gesundheit. – Ein Beitrag von Professor Dr. Roland Schmidt.

Berlin, 21. März 2021

Am 4. November 2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) „Eckpunkte der Pflegereform 2021“. Als zentrale Maßnahmen werden u. a. genannt:

(1) Eine „spürbare“ Entlastung von Pflegebedürftigen und Angehörigen dadurch, dass der pflegebedingte Eigenanteil auf maximal 700 Euro pro Monat und auf längstens 36 Monate begrenzt wird. Nicht enthalten in dieser Deckelung sind die Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie anfällige Investitionskosten. Mit Blick auf letztere Position gewähren die Bundesländer einen Zuschuss zu den Investitionskosten in Höhe von 100 Euro. Damit wird auf die Zuständigkeit der Länder im Rahmen der dualen Finanzierung für die Investitionskosten (§ 9 SGB XI) seitens des BMG abgehoben.

(2) Stärkung der Pflege zu Hause durch Anhebung der Leistungsbeträge zum 1. Juli 2021 um 5 Prozent und einer ab 2023 jährlichen Anpassung in Höhe der Inflationsrate. Die Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege werden laut Eckpunktepapier in einem Gesamtjahresbetrag in Höhe von 3300 Euro zusammengefasst. Bislang verlangte Vorpflegezeiten entfallen demnach zukünftig. Weiterhin soll es künftig möglich werden, dass Pflegebedürftige, Angehörige und Pflegedienste entscheiden, ob sie Leistungskomplexe und/oder Zeitkontingente bei der Leistungserbringung wählen. Für die Finanzierung einer 24-Stunden-Betreuungsperson im eigenen Haushalt soll es unter bestimmten Bedingungen möglich sein, bis zu 40 Prozent des Sachleistungsbudgets zu nutzen.

Im Falle von Projekten, die betreutes Wohnen mit Tagespflege kombinieren, sollen bei Inanspruchnahme von ambulanten Pflegesachleistungen und/oder Geldleistungen die Leistungen der Tagespflege ab dem 1. Juli 2022 auf 50 Prozent begrenzt werden.

Kosten für Maßnahmen der geriatrischen Rehabilitation sollen künftig für gesetzlich Versicherte über 70 Jahre zur Hälfte von der sozialen Pflegeversicherung getragen werden. Bisher liegt die Finanzierungszuständigkeit ausschließlich bei den Krankenkassen. Dies hatte und hat zur Folge, dass finanzielle Belastungen nicht bei der Instanz anfallen, bei auch der positive Effekt, nämlich die Vermeidung bzw. Minderung von Pflegebedürftigkeit, finanziell zu Buche schlägt. Diese systemische Schieflage war und ist für das Engagement der Krankenkassen in Sachen geriatrischer Rehabilitation nicht dienlich.

Eine Entlohnung entsprechend Tarif für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen soll künftig Voraussetzung für die Zulassung sein.

Weniger detailliert hingegen sind die Aussagen des Eckpunktepapiers zur Finanzierung der Pflegereform 2021. Betont wird, dass der Bund – analog zu Zeiten der Kindererziehung – die Beitragszahlungen an die Rentenversicherung für Menschen, die Angehörige pflegen, übernimmt. Zur Finanzierung „weiterer gesamtgesellschaftlicher Aufgaben“ (z. B. Vermeidung von Überforderung infolge von zu hohen Eigenanteilen) erhält die Pflegeversicherung künftig einen Bundeszuschuss.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Koalitionäre auf Bundesebene noch vor dem Ende der Legislaturperiode auf ein solches Reformprojekt verständigen können. Streitpunkte sind u. a. der Pflegevorsorgefonds, der bis 2050 verlängert werden soll. Dieser ist bei der Bundesbank angesiedelt (umfasst derzeit rund 1,5 Milliarden Euro) und soll die Belastungen der Pflegeversicherung mit Blick auf nachwachsende geburtenstarke Jahrgänge, die ab 2034 zu den „pflegenahen Jahrgängen“ zählen, mindern. Die SPD fordert dessen Auflösung zur Finanzierung von aktuellen Problemen der Pflegeversicherung und bringt stattdessen ihr Konzept einer Pflegebürgerversicherung erneut ins Spiel. Vielleicht dienen die Eckpunkte des BMG auch nur der Positionierung im demnächst beginnenden Bundestagswahlkampf.

Weiterhin setzt das BMG auf einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss. Andere Vorschläge zu einer tiefgreifenden Finanzreform der Pflegeversicherung, wie sie auch beim KWA Symposium 2020 erörtert wurden, werden – neben dem Pflegevorsorgefonds mit erhöhten Beiträgen – nicht einbezogen. Die Einführung eines Bundeszuschusses ist angesichts der Höhe der aktuellen Neuverschuldung des Bundes durchaus diskutabel.

Roland Schmidt

Herausgeber des Management Handbuchs für die Pflege Online (medhochzwei Verlag)
Nach dem Studium der Gesellschaftswissenschaft in der Justus-Liebig-Universität Gießen wiss. Angestellter am FB Gesellschaftswissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen und am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA). 2003-2017 Professor an der Fakultät Sozialwesen der FH Erfurt (Lehrgebiet: Gerontologie und Versorgungsstrukturen).

Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) von 1997 bis 2003, Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ des Deutschen Bundestags (14. Legislaturperiode), Mitglied der „Bundeskonferenz zur Qualitätssicherung im Gesundheits- und Pflegewesen (BUKO-QS)“
Mitglied des Aufsichtsrats der KWA gAG seit 2013

Vielleicht dienen die Eckpunkte des BMG auch nur der Positionierung im demnächst beginnenden Bundestagswahlkampf.

Prof. Dr. Roland Schmidt

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