Ein Beitrag von Prof. Dr. Thomas Klie.
Willy Brandt formulierte in den 70er Jahren den programmatischen und viele Bürger der alten Bundesrepublik ermutigenden Appell: „Mehr Demokratie wagen!“ In die Zeit der sozialliberalen Koalition fielen viele auf die Demokratisierung der Gesellschaft hin ausgerichtete Gesetzesvorhaben und Politikansätze. Auch das 1974 verabschiedete Heimgesetz zielte darauf, Schluss zu machen mit einer Vorstellung von Heimen, in denen – in der Tradition von Anstalten - „Insassen sich den Anordnungen der Heimleitung und des Heimarztes zu unterwerfen hatten“. So lauteten auch in den 70er und 80er Jahren manche Heimordnungen.
Die Wohnstifte, und mit an vorderster Front das Kuratorium Wohnen im Alter, waren so etwas wie die Pioniere in Sachen neuer Wohnformen im Alter, in denen die Bewohner in mehrfacher Hinsicht im Mittepunkt stehen sollten: Als Kunden guter Dienstleistungen, als ihr Alter selbst bestimmende und gestaltende Bürger, aber eben auch als zu demokratischer Mitwirkung und Mitgestaltung aufgeforderte Bewohner, die seinerzeit noch alle dem Heimgesetz unterfielen.
Die Stiftsbeiräte, wie sie bei KWA heißen, haben damit eine lange Tradition und sind aus der konzeptionellen Architektur des Kuratoriums Wohnen im Alter nicht wegzudenken. Darum hält KWA auch dann noch an den Stiftsbeiräten fest, wenn die meisten Bundesländer die Wohnstifte nicht mehr in den Anwendungsbereich ihrer heimrechtlichen Regelungen einbeziehen. Die vollstationären Einrichtungen, die Pflegeabteilungen oder Wohn-/ Pflegebereiche, sie unterliegen weiterhin dem Landesheimrecht. Hier gelten unmittelbar die Vorschriften, die die Mitwirkung der Heimbewohner respektive von ihnen beauftragte Personen verlangen.
Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Mitverantwortungs- und Mitgestaltungsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Sie setzt Transparenz voraus, damit selbige sie betreffende Angelegenheiten mit beurteilen und –entscheiden können. Sie lebt von unterschiedlichen Spielarten der Demokratie, die von Wahlen über Volksabstimmungen bis hin zu anderen und vielfältigen Formen der Demokratie reichen: Von der Mitwirkung in Gremien, in Bürgerinitiativen oder auf Demonstrationen. Nun sind die Bewohner von Wohnstiften nicht gerade die prädestinierten Demonstranten. Sie demonstrieren aber in vielfältiger Weise, wie Demokratie auch dort, wo Menschen besonders schutzbedürftig sind, wo manche Menschen in besonderer Weise verletzlich sind, gelebt werden kann.
Die Stiftsbeiräte nehmen vielfältige Aufgaben wahr: Sie lassen sich von der jeweiligen Hausleitung und dem Vorstand über die wirtschaftliche Entwicklung von KWA vor Ort und im Allgemeinen informieren, sie beraten im Vorwege notwendige Entgelterhöhungen mit. Sie werden einbezogen in die Planung der jeweiligen Einrichtung, was Neubauten, was Personalerweiterungen, Einstellungen und neue Konzepte anbelangt. Sie sind aber auch und gerade für die Mitbewohner Vertrauenspersonen, an die diese sich wenden und bei denen sie Rat und Zuspruch suchen können. Sie bringen ihre eigenen Ideen für die Weiterentwicklung des Heimlebens ebenso ein wie Kritik an verbesserungswürdigen Umständen in den Einrichtungen: Von der Verpflegung bis zur Pflege.
Mitglieder eines Stiftsbeirats sorgen mit ihrem Sachverstand und ihren kulturellen Kompetenzen dafür, dass die Wohnstifte lebendige und kulturell vielfältige Lebensorte für Menschen im Alter sind und bleiben. Auch den Kontakt zu den Mitarbeitern und dem Betriebsrat halten die Stiftsbeiräte. So leisten sie ihren ganz eigenen Beitrag zu dem Kosmos der Wohnstifte als demokratisch strukturiertes Gemeinwesen. Wohnstifte sind eben nicht nur Orte, an denen werthaltige Dienstleistungen erbracht, Kundenbedürfnisse befriedigt werden. Wohnstifte sind Orte des Lebens, an denen sich die Mitverantwortung der Bürger, bezogen auf ihr eigenes Lebensumfeld, immer wieder neu dokumentiert.
Politische Beteiligung, demokratische Teilhabe und Engagement gehören bei alledem aufs Engste zusammen. So formuliert es auch die Zweite Engagementberichtskommission der Bundesregierung: Bürgerschaftliches Engagement und politische Beteiligung sind zwei Seiten einer Medaille. Das Engagement von Stiftsbewohnerinnen und -bewohnern ist untrennbar mit Formen der demokratischen Mitgestaltung der Wohnstifte verbunden. Ob die Mitgestaltung von kulturellen Angeboten, der Einsatz und das Engagement für Erkrankte oder auf Pflege angewiesene Nachbarn, die ehrenamtliche Tätigkeit am Ort, die, wie die Engagementstudie von KWA deutlich gemacht hat, in Wohnstiften fast zur DNA der Bewohnerschaft gehört, ist ebenso Teil gelebter Demokratie wie das Engagement von Angehörigen, von Bürgern aus der jeweiligen Stadt oder dem jeweiligen Ort für die KWA-Stifte. Auch dies ist nicht wegzudenken und macht deutlich: Wohnstifte sind Teil des sie umgebenden Gemeinwesens, des Ortes und der Kommune.
Die Einbindung der Wohnstifte in das jeweilige demokratische Gemeinwesen sichert die Teilhabe der Stiftsbewohner und ist ebenfalls Garant von öffentlicher Aufmerksamkeit und damit Sicherung der Qualität in den Wohnstiften: Das unterstrich auch die im Auftrag des Pflegebeauftragten der Bundesregierung erstellte Gutachten zur Heimmitwirkung 2019 . Für hochbetagte Bewohner von Wohnstiften und Pflegeheimen, gerade auch für Menschen mit Demenz, ist eine Mitwirkung in Gremien wie etwa dem Stiftsbeirat nicht immer naheliegend und passfähig. Gerade unter Berücksichtigung der Lebenssituation von Bewohnern in den Pflegewohnbereichen ist die demokratische Mitwirkung von außen unabdingbar und ebenfalls ein Zeichen gelebter Demokratie.
Beispiele für die Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements von Stiftsbewohnern finden sich sowohl hier auf dieser Website im Menüpunkt "Beiträge" über die Rubrik "Engagement" als auch in dieser KWA Publikation:
Themen & Positionen 6
Das Engagement von Stiftsbewohnerinnen und -bewohnern ist untrennbar mit Formen der demokratischen Mitgestaltung der Wohnstifte verbunden.
Prof. Dr. Thomas Klie.
Mitglieder eines Stiftsbeirats sorgen mit ihrem Sachverstand und ihren kulturellen Kompetenzen dafür, dass die Wohnstifte lebendige und kulturell vielfältige Lebensorte für Menschen im Alter sind und bleiben.
Prof. Dr. Thomas Klie.