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alternovum Ausgabe 1/2021

Unterwegs zu Christo & Jeanne-Claude

Eine Geschichte von Helga und Günther Rübel.

Berlin, 14. Mai 2021

“Sie werden nie die Mehrheit kriegen“, zischte Kanzler Helmut Kohl, so berichtete zu mindestens ‚Der Spiegel‘ in Ausgabe 13/1993. Es ging um die Zustimmung zum Projekt ‚Wrapped Reichstag‘ der Künstler Christo und Jeanne-Claude, die seit nun schon über 20 Jahren, zusammen mit ihren deutschen Unterstützern, bei Bonner Präsidenten, Parlament und Regierung für eine Genehmigung zur Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes antichambrierten.

Aber der Kanzler irrte! Im Februar 1994 stimmte der Bundestag mit 292 zu 223 Stimmen für eine Realisierung. 15 Tage im Juni und Juli 1995 waren geplant. Schon die Arbeiten zur Verhüllung des Gebäudes mit silberfarbenen Gewebebahnen zogen zahlreiche Besucher an.

Und am 24. Juni 1995 war es dann soweit – die Besucher kamen in Millionen von überall her! Allein am letzten Tag zählte die Berliner Polizei über 500.000 Besucher! Unvergessen sind die milden Sommerabende bei einbrechender Dämmerung, die Gruppen, die auf der Freifläche vor dem Reichstag beim Picknick zusammensaßen, die Menschen, die um das Gebäude flanierten. Eine heitere, gelassene, fast meditative Stimmung lag über allem; und selbst in der ausländischen Presse wunderte man sich über die ‚ungewohnt verspielte Atmosphäre‘ in der Hauptstadt ‚mit ihrem manchmal etwas düsteren Flair‘ (Le Monde). Es war wirklich ein Sommermärchen! Wir aber nahmen uns vor, nunmehr keines der zukünftigen Projekte zu versäumen.

Und das nächste große Projekt war dann ‚The Gates – Central Park New York City 1979-2005‘. Die Jahreszahlen deuten auf die wiederum lange Vorbereitungs- und Genehmigungsphase hin. Erst unter Bürgermeister Bloomberg stimmte die New Yorker Stadtregierung zu, die Realisierung erfolgte dann im Februar 2005.

Auf der gesamten Fläche des Central Parks wurden für 16 Tage 7352 Tore (gates) aufgestellt. Darin hingen safranfarbige Segel, die sich leicht im Wind bewegten. Ein glühendes Fahnenmeer im winterkahlen Park, ein starker Kontrast zum trüben Tageslicht.

Weiter ging es mit ‚The Floating Piers‘ (dieses war das erste große Projekt, welches Christo ohne Jeanne-Claude realisierte, da sie 2009 verstarb). Christo wählte den See Iseo, gelegen in der Lombardei zwischen Brescia und Bergamo, ein wunderschönes Panorama. Wieder waren 16 Tage geplant, im Juni/Juli 2016.

An Gewichtsankern wurden Schwimmkörper befestigt, diese zu Flößen verbunden. Darüber wurden gelbfarbende Folien gespannt. So wurden Stege gebildet, die zu den im See befindlichen Inseln Monte Isola und San Paolo führten.

Der Andrang im kleinen Ausgangsort Sulzano ist riesig. Die örtliche Feuerwehr hat Erbarmen mit den Wartenden und erfrischt sie aus dem Löschschlauch!

Aber schließlich betritt man die Stege. Sie fallen zum Wasser leicht ab, sachte wippen und schwanken die Pontons mit den Wellen. Aber sie sind stabil. Ja wirklich, man geht über Wasser!

 

Lange beschäftigte sich Christo mit der Form eines altägyptischen Grabbaus, der Mastaba. Ursprünglich für Abu Dhabi geplant, verwirklichte er im September 2018 diese Idee, im verkleinerten Maßstab, im Serpentine-See im Londoner Hyde-Park.

7506 Fässer, die Deckel rot, violett und blau lackiert, schwimmen in der Mitte des Sees und bilden die Form der Mastaba. Wir umrunden den See, Sonne und Schattenspielen mit den Farben. Oder man fährt mit einem Tretboot ganz dicht ‚ran‘.

Zuerst waren es die Turmfalken! Sie brüteten auf dem Pariser Triumphbogen und machten eine Verschiebung des Projektes ‚L‘ Arc de Triomphe, Wrapped‘ vom Frühjahr 2020 zum Herbst 2020 erforderlich. Dann kam Corona, Großveranstaltungen wurden unmöglich, eine weitere Verschiebung von Herbst 2020 zum Herbst 2021 erfolgte. Inzwischen verstarb auch Christo – aber dank seiner wie immer perfekten Vorbereitung werden wir dann hoffentlich im nächsten Jahr noch einmal und ein letztes Mal einen neuen Blick auf etwas Altvertrautes werfen können!

Zum Schluss noch einmal zurück zum Reichstag. Zitat aus einem der letzten Interviews mit Christo (aus SZ, 05.06.20):
Frage: "Wie sind Sie auf Berlin und den Reichstag gekommen?"
Christo: "Im Grunde habe ich keinen Bezug zu Berlin. Aber ich bin in den Fünfzigerjahren aus dem Ostblock geflohen. Damals dachten wir, dass der Eiserne Vorhang für immer bleiben würde. Berlin war der einzige Ort, der Westen und Osten zugleich war. Allmählich faszinierte es mich, den Reichstag, der genau an der Grenze zwischen Ost und West lag, zu verhüllen. Aber ich erinnere mich noch sehr gut, ich hatte als Ostblockflüchtling richtig Angst, wirklich Angst, während des Kalten Krieges nach Berlin zu reisen. Deshalb ist das Reichstagsprojekt für mich etwas sehr Persönliches."

 

 

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